Full text: Preußisches Staatsrecht. Zweiter Band. (2)

8 137 Geschichtliche Entwicklung der Verwaltuugsgerichtsbarleit. 431 
Entsprechend dem Gesetzesbegriffe dehnt sich nun aber die 
Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte aus. Hatte sich diese bisher 
nur über das Privat- und Strafrecht erstreckt, so hatte ja der 
ständische Staat fast das ganze öffentliche Recht in privatrechtliche 
Befugnisse des Landesherren einerseits und der Untertanen anderer— 
seits aufgelöst. Die Landeshoheit wie die besonderen ständischen 
Rechte hatten wesentlich den Charakter privatrechtlicher Befugnisse. 
Nichts war natürlicher, als daß sich auch die Rechtsprechung dieser 
veränderten Rechtsanschauung anpaßte. Sobald eine Anordnung 
des Landesherren oder seiner Behörden die Rechte eines Unter- 
tanen berührt, ist die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser 
Handlung nicht mehr Regierungssache, sondern Justizsache-). 
Die Landesgerichte wie die Reichsgerichte erkennen daher, ohne 
daß ein Unterschied in der Behandlungsweise gemacht würde, über 
öffentlichrechtliche und über privatrechtliche Fragen, und zwar in 
äwiefacher Form. Hat die Obrigkeit als solche, d. h. in ihrer 
richterlichen Tätigkeit gehandelt, so findet gegen ihre Anordnungen, 
soweit sie nicht als Urteile mit der Appellation angefochten werden 
können, die aus dem kanonischen Rechte in den gemeinen Prozeß 
übergegangene Extrajudizialappellation statt. Diese geht gegen die 
Landesbehörden an das vorgesetzte Gericht, gegen den Landesherren 
als obersten Richter an die Reichsgerichte. Soweit dagegen die 
Obrigkeit nicht als Richter tätig gewesen ist, bleibt gegenüber ihren 
Eingriffen in individuelle Rechte die Klage bei dem zuständigen 
Richter, also gegenüber Handlungen der Landesherren bei den 
Reichsgerichtene). Der letzteren mußte aber das Verfahren vor 
den Austrägen vorhergehen. Ein besonderer Verwaltungsprozeß 
oder nur ein Ansatz zu einem solchen ist noch dem 16. Jahrhundert 
4) Bgl. besonders D. G. Struben, Gründlicher Unterricht in Re- 
dierungs- und Justizsachen, Hildesheim 1733. 
5) Die Ansicht von Gneist, Rechtsstaat S. 82, daß es sich hier 
nicht um eine Klage, sondern um eine besondere Verwaltungsbeschwerde, 
duerela, gehandelt habe, beruht augenscheinlich auf einem Mißverständnisse. 
ie simplex quorela im Sprachgebrauche der Reichsgesetze bedeutet nichts 
als Klage, sie bezeichnet nicht den Gegensatz der actio, sondern der appellatio. 
Sal. die folgende Note. Eher könnte man die Extrajudizialappellation 
el der Ausdehnung, die ihr die Praxis vielfach gab, als besondere 
erwaltungsbeschwerde auffassen, doch auch sie ist nur ein prozessualisches 
echtsmittel.
	        
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