Full text: Preußisches Staatsrecht. Zweiter Band. (2)

52 Das Verwaltungsrecht. 8 92 
recht. Wenn er davon Gebrauch macht, so handelt er stets auf 
eigene Gefahr. Er setzt sich disziplinarer Bestrafung aus, falls 
nach Ansicht der höheren Vorgesetzten oder des Disziplinargerichts 
die Verweigerung des Gehorsams unberechtigt warto). 
Selbstverständlich muß jeder amtliche Befehl, um als solcher zu 
gelten, in der gehörigen Form erteilt sein. 
Mit dieser Auffassung der Gehorsamspflicht steht auch die Recht- 
sprechung des Obertribunals und Reichsgerichtsu) nicht im Wider- 
spruche. Sie befaßt sich vorzugsweise mit der Frage, wenn 
ein Vollzugsbeamter in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes 
handelt. Wenn hier verlangt wird, daß die befehlende Behörde 
wie der gehorchende Beamte innerhalb ihrer Zuständigkeit ge- 
handelt haben müssen, so wird damit über die Frage der Gehorsams- 
und Prüfungspflicht, die lediglich im Innern des Behördenorganis- 
mus liegt, gar nichts entschieden. Es bedarf daher auch hier 
keiner weiteren Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung. 
Weiterhin kommt es nicht in Betracht, daß der Beamte nach 
der hier vertretenen Ansicht häufig gegen seine Ueberzeugung oder, 
wie man es ausdrückt, gegen sein Gewissen zu handeln verpflichtet 
wäreis). Dieser Einwurf beruht auf dem Vorurteile, als ob es 
überhaupt Sache des Beamten wäre, nach seiner Ueberzeugung zu 
handeln. Es bedarf aber wohl kaum einer weiteren Ausführung, daß 
in diesem Falle der ganze Behördenorganismus sich in Anarchie 
auflösen würde. Nicht nur kommt es häufig vor, daß der Beamte 
gegen seine Ueberzeugung handeln muß, sondern es ist geradezu 
ein Zufall, wenn er im einzelnen Falle einmal nach seiner Ueber- 
zeugung handeln darf. Selbst bei den am freiesten gestellten Be- 
hörden, den richterlichen, ist das Handeln gegen die eigene Ueber- 
zeugung etwas alltägliches. Das Gericht hat vielfach die Rechts- 
  
10) Ebenso Entsch, des Staatsministeriums vom 11. November 1910 
vom 24. und 28. Januar und 29. Dezember 1908 bei v. Rhin- 
baben, Dissziplinargesetze S. 70 ff. 
17) Erk. d. Ob.Tr. vom 17. November 1871 und 1. Juni 1872 
bei Oppenhoff zu StrEB. 8 113, vom 19. Januar 1872 bei 
Goltdammer, Archiv Bd. 20, S. 94, des Reichsgerichts vom 24. Sept. 
1880, 1. Nov. 1880, 23. Nov. 1880, 1. Mai 1882, 23. Juni 1882 — 
Rechtsprech. in Straffs. Bd. 2, S. 249, 424, 559, Bd. 4, S. 419, 605. 
18) Dieser Punkt wird u. a. von H. Schulze, Pr. StR. Bd. 1, 
S. 317 hervorgehoben.
	        
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