Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

8 162 Die streitige Gerichtsbarkeit. 111 
es also nicht, daß Zivil= und Strafsachen zwar durch Behörden 
in richterlicher Unabhängigkeit, jedoch in einem formlosen Ver- 
waltungsdezernate entschieden würden, wie es bis in die neuoeste 
Zeit für fast alle Rechtsstreitigkeiten des Verwaltungsrechts bestand. 
Das deutsche Recht hat aber zu allen Zeiten, selbst als die richter- 
liche Unabhängigkeit vollständig beseitigt war, für streitige Rechts- 
sachen des Zivil- und Strafrechts an prozessualischen Formen 
festgehalten und die formlose extraordinaria cognitio des Absolu- 
tismus vermieden. Gerade durch dieses Festhalten an einem Prozeß- 
rechte konnten die deutschen Gerichte die mit dem Untergange 
der altdeutschen Gerichtsverfassung verloren gegangene richterliche 
Unabhängigkeit allmählich wieder gewinnen. Die prozessualischen 
Formen folgen also an sich nicht aus dem Wesen der streitigen 
Gerichtsbarkeit, sind ihr aber immer eigentümlich gewesen. 
Bei der streitigen Gerichtsbarkeit handelt es sich zwar um 
einen Rechtsstreit. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß unter allen 
Umständen zwei streitende Parteien einander gegenüberstehen 
müßten, zwischen denen das richterliche Urteil nunmehr unstreitiges 
Recht schafft. Allerdings trifft dies gegenwärtig fast für die gesamte 
streitige Gerichtsbarkeit sowohl für den Zivilprozeß wie für den 
Strafprozeß zu, aber aus dem Wesen der streitigen Gerichtsbarkeit 
ergibt es sich keineswegs. Auch als das Strafverfahren noch nicht 
den Charakter des Anklageprozesses, sondern den des Inquisitions- 
prozesses hatte, war die Strafrechtspflege ein Teil der streitigen 
Gerichtsbarkeit. Denn die Berechtigung zum Erlasse des Straf- 
urteils wurde von dem Beschuldigten bestritten, und es war Sache 
des Richters, nach Prüfung der Verteidigungsgründe ihnen Rech- 
nung zu tragen oder sie zu verwerfen. Ebenso ist auch heute das 
erste Eingreifen des Amtsgerichts, ehe noch die Staatsanwaltschaft 
mit der Sache befaßt ist, ein Teil der streitigen Gerichtsbarkeit, 
es fällt bereits in den Strafprozeß, obgleich sich in diesem Stadium 
noch keine streitenden Parteien gegenüberstehen. 
Für den Begriff des Rechtsstreites erscheint es auch nicht 
notwendig, daß in jedem Prozesse die Parteien einander wider- 
sprechende tatsächliche Behauptungen aufstellen müssen. Ein Zivil- 
prozeß hört nicht auf, ein solcher zu sein, wenn der Beklagte den 
eingeklagten Anspruch anerkennt, ein Strafprozeß bleibt ein solcher, 
auch wenn der Angeklagte seine Tat rückhaltlos gesteht. Denn
	        
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