Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

9 165 Geschichtliche Entwicklung der Polizei. 123 
verkehrs, des Gewerbewesens, der Luxuspolizei. Diese neuen Zweige 
der obrigkeitlichen Gewalt übernimmt nicht der Stadtrichter, sondern 
die städtische Gemeindeobrigkeit, der Rat. Allmählich reißt er aber 
auch die vom Stadtrichter geübte Sicherheitspolizei an sich. Damit 
tritt eine vollständige Scheidung zwischen Justiz und Verwaltung 
im heutigen Sinne ein. Das Stadtgericht ist auf die Rechtsprechung 
in Zivil= und Strafsachen beschränkt, die ganze übrige obrigkeitliche 
Tätigkeit ist auf den Rat übergegangen und wird von ihm als 
Aufgabe der städtischen Kommunalverwaltung versehen. Dieser 
Zustand ändert sich auch nicht durch den Erwerb der landesherr- 
lichen Stadtgerichte seitens der Städte, womit auch die Gerichts- 
barkeit zu einem Gegenstande der Kommunalverwaltung wird. 
Wenn dadurch auch die Stadt die Bestellung des Richters und der 
Schöffen und die Gerichtseinkünfte erlangte, so blieb doch das 
Stadtgericht selbst, von einer mehrfach vorkommenden Personal- 
union der Aemter abgesehen, rechtlich von dem Rate als der ihm 
übergeordneten städtischen Behörde vollständig getrennt)). 
Seit Ende des 15. Jahrhunderts versucht auch das Reich 
den bei einer höheren Kulturstufe unabweisbar auftretenden sozialen 
und wirtschaftlichen Bedürfnissen nach Erweiterung der staatlichen 
Tätigkeit, in den gebildeten Klassen getragen von der antiken 
Staatsidee der Renaissance, nach Möglichkeit gerecht zu werden. 
Die Renaissance bezeichnete nun aber im Anschlusse an Aristoteles, 
der unter #diee geordnete Staatsherrschaft überhaupt ver- 
steht, die gesamte Tätigkeit des Staates im Gegensatze zu der der 
Kirche als Politias). So ist denn die Politia oder Poletzey die ge- 
samte Tätigkeit der weltlichen Obrigkeit. Die reichsrechtlichen 
Normen, vermöge deren das Reich den Forderungen der Gesellschaft 
in dem Stadium ihrer Umbildung gerecht zu werden suchte, und 
die sich über zahlreiche, der staatlichen Einwirkung bisher entzogene 
Gegenstände erstrecken, werden daher als Reichspolizeiordnungen 
bezeichnet. Nichts wäre irriger als in den Reichspolizeiordnungen 
nur eine Regelung polizeilicher Gegenstände im heutigen Sinne 
zu suchen. Die Reichspolizeiordnungen enthalten alles, was der 
Staat überhaupt rechtlich regeln kann, Privatrecht, Strafrecht, 
— —— 
1) Vgl. über diese ganze Entwicklung in den märkischen Städten 
vor nhak, Preußische Staats= und Rechtsgeschichte S. 12. 
2) Das ti wurde dabei wie 21 gesprochen.
	        
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