Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

176 Armenpolizei und Armenpflege. 255 
Während das Gesetz über die Freizügigkeit im ganzen Reichs- 
bebiete gilt, ist das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz in 
Elsaß-Lothringen erst vom 1. April 1910 ab, in Bayern aber 
das Gesetz über Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der 
Eheschließung überhaupt nicht eingeführt, das Gesetz über den 
lnterstützungswohnsitz erst durch Gesetz vom 30. Juni 19139). 
§ 176. Armeupolizei und Armenupflege. 
Bereits aus den Erörterungen über die geschichtliche Entwick- 
lung des Armenwesens ergibt sich, daß eine staatliche Tätigkeit 
auf diesem Gebiete nach zwei Richtungen hin entwickelt werden 
kann, daß aber der Staat nicht notwendig beide in gleicher Weise 
bflegen muß. Der Armut kann in doppelter Weise entgegengewirkt 
werden dadurch, daß der Staat die die Staats= und Gesellschafts- 
brdnung bedrohenden Aeußerungen der Armut unterdrückt, und 
badurch, daß er durch seine Tätigkeit das Uebel selbst nach Möglich- 
beit zu heilen sucht. Die erstere Richtung der Verwaltungstätig- 
leit auf dem Gebiete des Armenwesens ist als Armenpolizei, die 
letztere als Armenpflege zu bezeichnen. 
Der Unterschied zwischen beiden ist nicht etwa der zwischen 
einer unterdrückenden und einer vorbeugenden staatlichen Tätigkeit. 
Im Gegenteile wirken beide Verwaltungszweige gleichzeitig nach 
beiden Richtungen. Die Bettler- und Vagabundenpolizei sucht die 
durch Bettelei und Landstreichen für die öffentliche Sicherheit 
brohenden Gefahren, die Armenpflege durch Unterstützungen den 
Notstand zu beseitigen. Die erstere, obgleich vorzugsweise vor- 
beugend, unterdrückt doch aber gleichzeitig Bettelei und Land- 
treichen, die letztere, obgleich vorzugsweise unterdrückend, beugt 
auch künftigen Notständen vor. 
Ebensowenig liegt der Unterschied in den Mitteln der Staats- 
tätigkeit etwa in der Weise, daß auf dem Gebiete der Armenpolizei 
die staatliche Zwangsgewalt, auf dem Gebiete der Armenpflege 
bie Freiwilligkeit herrschte. Wie diese Auffassung für die Unter- 
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11) REGl. 1913, S. 495.
	        
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