fullscreen: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 363 
herrschaft, wie zu republikanischer Zeit, dem Senate. Später übt es indes der Kaiser: er ver- 
leiht z. B. das jus trium liberorum, d. h. er entbindet von den erbrechtlichen und sonstigen Be- 
schränkungen, welche die lex Papia Poppaea für die Kinderlosen eingeführt hatte. Wahrschein- 
lich beruht diese Verdrängung des Senates einfach auf kaiserlichem Ubergriffe. Dagegen hat 
der Princeps von vornherein die Befugnis, eine Stadt zur Bürger= oder Latinergemeinde zu 
erheben und für sie ein Stadtrecht (lex coloniae) zu erlassen. So haben wir zwei Tafeln des 
(gleichlautenden?) Stadtrechts der latinischen Gemeinden von Malaca und Salpensa in Spanien, 
das ihnen Domitian (um 82) gab, nachdem allen spanischen Städten von Vespasian die Latinität 
verliehen war 1. Das sind eigentlich gesetzgeberische Akte, welche nach republikanischer Ver- 
fassung von den Komitien ausgehen mußten. Dem Kaiser ist also (wahrscheinlich durch ein 
besonderes Gesetz) das Recht eingeräumt, solche Akte statt des Volkes vorzunehmen; es sind 
leges datae. Anderen Charakters sind die „leges“, die die Rechtsverhältnisse des (kaiserlichen 
und privaten) Großgrundbesitzes und die der Bergwerke und ihrer Bezirke regelten: die lex 
Manciana, Hadriana, die leges metallis dictae, von denen wir durch afrikanische und lusitanische 
Inschriften Kunde haben 2. Eigentliche Gesetze waren diese tief einschneidenden Regulative 
sicherlich nicht. Sie knüpfen allem Anschein nach an hellenistische Vorbilder an; auf welcher 
staatsrechtlichen Grundlage sie beruhen, ist zweifelhaft; erlassen wurden sie, soweit sie sich nicht 
auf den Kaiser selbst zurückführen, vermutlich durch dazu delegierte kaiserliche Beamte 3. Als 
ein Stück auf den Kaiser übergegangener formeller Gesetzgebungskompetenz muß dagegen wieder 
die Verleihung des Bürgerrechts angesehen werden. Der Kaiser macht davon — kraft einer 
Klausel der lex de imperio? — nicht bloß kraft feldherrlicher Befugnis Gebrauch, die in republi- 
kanischer Zeit durch besonderen Volksschluß übertragen wurde, sondern schon im ersten Jahr- 
hundert n. Chr. weit darüber hinausgehend. In die erste Kategorie gehören die sog. tabulae 
honestae missionis (privilegia veteranorum). Durch sie wird ausgedienten Soldaten bei ihrer 
Entlassung die Zivität und, wenn sie schon Bürger sind, das conubium mit ihren peregrinischen 
Ehefrauen gewährt. Es ist eine große Anzahl solcher in Diptychenform (5 53) auf Erztafeln 
geschriebener Urkunden erhalten "; sie sind Abschriften der kaiserlichen Erlasse, die auf dem 
Kapitole angeheftet waren; durch sie wird regelmäßig einer größeren Anzahl ausgedienter 
Soldaten das Privileg verliehen. 
#40. Form der kaiserlichen Erlasses. Viel umfassender und eingreifender 
ist die gesetzgeberische Tätigkeit der Kaiser durch Verordnungen. Ihre Form ist sehr verschieden. 
1. Der Kaiser kann als höchster Staatsbeamter Edikte erlassen; sie werden wie die republi- 
kanischen öffentlich ausgestellt und binden natürlich auch die anderen Beamten. Sie enthalten 
bald allgemeine Anordnungen, bald regeln sie spezielle Verhältnisse, z. B. die Benutzung einer 
bestimmten Wasserleitung. Der Kaiser kann 2. allen seinen Dienern Anweisung für die Führung 
ihres Amtes erteilen; denn sie stehen zu ihm wie Beauftragte; er hat als allgemeiner Prokonsul 
diese Befugnis gegenüber allen Statthaltern, auch den senatorischen. Diese Mandate 
werden wie das Edikt ständig („caput ex mandatis“ wird mehrfach angeführt: D. 29, 1, 1 pr.; 
48, 3, 6, 1), waren aber nicht für alle Provinzen gleich (D. 23, 2, 65 pr.). Auch Private können 
sich darauf berufen. 3. In streitigen Sachen entscheidet der Kaiser regelmäßig mit seinem 
consilium (decreta). Das gilt für Verwaltungssachen so gut wie für die privaten Rechtshändel, 
die an n ihn gelangen (D. 1, 22, 2). Endlich 4. erteilt der Kaiser Antwort (reseriptum) auf An- 
1 B runs, Fontes I p. 142 sq. Ein neues Fragment, eines 2lbanischen Stadtrechts, viel- 
leicht der L. Malacitana, bei Dessau, Wiener Studien XXIV S. 246 f. Mit L. Malac. c. XXV 
sas wörtlich übereinstimmend das frazmentum legis Lauriacensis (zwischen 210 und 213) bei 
runs Ip. 159. 
* Bgl. Bruns, Fontes I p. 289—304. Die beiden unter Nr. 112 und 113 daselbst wieder- 
wegebenen Bruchstücke- sind aber keinesfalls, wie der Herausgeber annimmt, Fragmente derselben 
ex metalli Vipascensis und gehören überhaupt nicht zusammen 
** da 5 sie besonders Rostowzew, Studien zur Gesch. des röm. Kolonates (1910) 
ClIIL. III 2. 843—919. Ephem. epigr. II 452 sq.; IV 181 sqd.; 495 a. Bruns, Fontes I 
p. 275. 423 8 
6 Wlas ak, Kritische Studien zur Theorie der Rechtsquellen im Zeitalter der klassischen 
Juristen (1884) II. 
Encyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band I. 23
	        
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