Full text: Preußisches Staatsrecht. Dritter Band: Verwaltungsrecht, besonderer Teil. (3)

644 Das Verwaltungsrecht. 218 
waltet ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt im Besitze und 
Genuß der für ihre Kultus-, Unterrichts= und Wohltätigkeitszwecke 
bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds“. Aus diesem Grund- 
satze werden in den folgenden Art. 16 bis 19 weitere Folgerungen 
gezogen. Der freie Verkehr der Religionsgesellschaften mit den 
geistlichen Oberen, d. h. der Bischöfe mit dem Papste, und die 
Abschaffung des landesherrlichen Placet wird unter den Schut 
der Verfassung gestellt (Art. 16). Das Ernennungs-, Vorschlags= 
Wahl= und Bestätigungsrecht bei Besetzung kirchlicher Stellen, 
soweit es dem Staate zusteht und nicht auf dem Patronate oder 
besondern Rechtstiteln beruht, wird aufgehoben. Diese Bestim- 
mung findet jedoch keine Anwendung auf die Anstellung von 
Geistlichen beim Militär und an öffentlichen Anstalten (Art. 18). 
Endlich wird die Abschaffung des Kirchenpatronats und die Ein- 
führung der Zivilehe in Aussicht gestellt und besonderen Gesetzen 
vorbehalten (Art. 17, 19). 
Eine durch das Staatsinteresse unbedingt gebotene organische 
Gesetzgebung auf diesen verfassungsmäßigen Grundlagen, bei denen 
namentlich in Art. 15 fast jedes Wort: „ordnet“, „verwaltet“. 
„selbständig“ unklar blieb, ist jedoch nicht zustandegekommen. Selbst 
eine Verständigung im Verwaltungswege darüber, welche Be- 
schränkungen der Kirche nunmehr fortgefallen seien, wurde von der 
katholischen Kirche als überflüssig abgelehnt, da sie sich mit Ver- 
kündung der Verfassungsurkunde im Besitze der verfassungsmäßig 
gewährleisteten Selbständigkeit befinde und demgemäß alle bis- 
herigen Beschränkungen der Kirche, wie sie namentlich im AL#- 
enthalten waren, fortgefallen seien. Für die evangelische Kirche 
griff man zwecks Herstellung der verfassungsmäßigen Selbständig- 
keit zu dem Notbehelfe, daß man für die innerkirchlichen Ange- 
legenheiten das Kultusministerium durch eine besondere kirchliche 
Oberbehörde, den Evangelischen Oberkirchenrat, ersetzte und daun 
die Kirchenbehörden nicht mehr als staatliche behandelte. Dieser 
nur als Notbehelf gedachte Zustand, welcher einer besonderen kirch- 
lichen Organisation unter Beseitigung des damals für mit der 
konstitutionellen Staatsform unvereinbar erachteten landesherr“ 
lichen Kirchenregiments Platz machen sollte, blieb dann aber end- 
gültig bestehen. 
Als sich nun infolge der Beschlüsse des vatikanischen Konzils
	        
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