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derholt worden, daß die thatsächliche Verdrängung des rechtmäßigen
Herrschers immer das ursprüngliche Organ des Gesammtwillens,
das Volk, zur Wirksamkeit berufe; namentlich wenn eine Usurpa—
tion der Staatsgewalt stattgefunden habe, so dürfe und müsse das
Volk entweder die Herrschaft an sich selbst nehmen oder einen neuen
Träger der Staatsgewalt einsetzen. So weit dieser Satz auf eine
angebliche Verschuldung des bisherigen Herrschers, welche die Usur-
pation herbeigeführt oder zugelassen habe, gestützt wird “½), ist er
nur eine Anwendung der alsbald (unter 2) zu erörternden Ansicht;
sofern dies aber nicht der Fall ist, mithin die Gewalt, welche den
rechtmäßigen Inhaber der Staatsgewalt verdrängt hat, als eine
formell und materiell unberechtigte erscheint, ist nicht einzusehen,
weshalb die Verpflichtung des Volkes gegenüber dem bisherigen
Souverain erloschen sein soll. Allenfalls könnte man geltend machen,
der Staat bedürfe immer eines Herrschers, der sowohl durch das
Recht berufen, als an der Ausübung der Staatsgewalt nicht ver-
hindert sei); aber ist das Volk faktisch im Stande, mit freiem
Willen über die Herrschaft von Neuem zu verfügen, dann vermag
es auch, den frühern Herrscher wieder einzusetzen; eine Nothwendig-
keit, ein neues Organ zu schaffen, liegt also nicht vor.
2. Ein Mißbrauch der Staatsgewalt von Seiten des aktuellen
Herrschers soll stets die ruhende Souverainität des Volkes erwecken.
Eine Verletzung der formellen und der materiellen Schranken der
Staatsgewalt (Verfassungsbruch und Tyrannei) werden in der Regel
gleichmäßig als Mißbrauch bezeichnet ½1). Daß aber in beiden Fällen
jene rechtliche Folge eintreten soll, wird in zweifacher Weise be-
gründet und in Gemäßheit der verschiedenen Begründung gewinnt
auch der Volkswille eine verschiedene Bedeutung; doch werden weder
in der einen noch in der andern Hinsicht die beiden Gesichtspunkte
gehörig auseinandergehalten. Einmal nämlich wird angeführt, die
veränderung, also eine wirkliche Usurpation, voraussetzt, spricht der Letztere in
unbestimmterer Weise von dem „Verschwinden" oder der „gewaltsamen Abstoßung
eines Organs der Staatsgewalt.“
449) Namentlich Locke (§ 213 ff.) macht diesen Gesichtspunkt geltend.
150) Dieses Argument deutet Locke, § 220 an, vgl. Rotteck, S. 480.
154) Milton, Cap. 7 nennt in diesem Sinne die Vernachlässigung „salutis
et libertatis publicae“, Locke, & 149 „designs against the Liberties and
Properties of the Subject“, Murhard, S. 72, Despotismus und Tnyrannei,
Rotteck, S. 481, Bruch des Verfassungsgesetzes und wissentliche Verletzung des
Gemeinwohls, Ahrens, S. 171, dagegen nur formellen Verfassungsbruch.
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