95
Aber nicht blos in England, wo politische und religiöse
Anschauungen einander wechselseitig durchdrangen und ebenso
für eine Steigerung wie für eine Verminderung der mon-
archischen Gewalt geltend gemacht wurden, hatte die Lehre von
der göttlichen Verleihung der königlichen Würde an ein be-
stimmtes Geschlecht politische Bedeutung erlangt, sondern auch
in Ländern und Zeiten, in denen schon längst die religiöse
Vertiefung nicht mehr herrschte, welcher ein frommes und be-
scheidenes Ableiten jeder irdischen Institution, jedes weltlichen
Vorganges aus dem Willen Gottes Bedürfniß war ½), hatte-
sich das Bestreben fortgesetzt, die monarchische Gewalt durch
eine Berufung auf den göttlichen Ursprung derselben zu be-
glaubigen und zu steigern.
Ludwig XIV. hatte mit glücklicherm Erfolg als die Stuarts
vor ihm das Königthum von Gottes Gnaden als einen pas-
senden Rechtstitel auf unumschränkte Fürstengewalt angesehen
und sich selbst ähnlich wie einstmals Kaiser Justinian 2) für-
das lebende Bild dessen, der allheilig und allmächtig ist, er-
klärt. z) Dann hatte wieder Mirabeau in der französischen
Nationalversammlung die Beibehaltung des Prädicats „von
Gottes Gnaden“ mit dem Bemerken vertheidigt, daß diese
Worte eine der Gottheit erwiesene Huldigung enthielten, welche
alle Völker der Welt ihr schuldig seien. 4) Endlich hat auch
Ludwig XVIII., obgleich „Voltaire's Glauben im Herzen“ 5),
den göttlichen Ursprung seines Rechts auf die französische
Krone vertheidigt.
1) Vgl. H. Schulze, Einleitung in das deutsche Staatsrecht, S. 141.
:) Nov. 6, pracf., Nov. 105, cap. 2 i. f.
2) Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 4. Aufl., I, 265.
“) Dahlmann, Geschichte der Französischen Revolution, S. 331.
6) Gervinus, a. a. O., I, 79.