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eine besondere übermenschliche Menschenrasse, welche nur aus
den legitimen Fürsten bestehen soll, und vergißt dabei, wie er
selbst in Zeiten der Anarchie die Usurpation der Gewalt durch
den Fähigsten vertheidigt und meint, diese Usurpation werde,
sofern das Volk ihr thatsächlich zustimme, d. h. sich ihr
unterwerfe, alle Legitimität besitzen, welche in derartigen Zu-
ständen möglich sei. 1
Ueberdies hilft de Maistre der ungeheuern, ja nach
den historischen Erfahrungen unüberwindlichen Schwierigkeit,
die in eine halb göttliche Ausnahmestellung heraufgehobenen
Fürsten durch irgendein rechtliches Band zu fesseln, nur durch
die unzugänglichsten Mittel ab, so viel er auch von der
Nothwendigkeit einer Beschränkung der monarchischen Gewalt,
von bestimmten rechtmäßigen Eigenschaften und deshalb auch
Schranken der europäischen Monarchie im Gegensatze zu der
asiatischen Despotie spricht. Er fordert von den Unterthanen
vollständig unbedingten Gehorsam gegen ihre Herrscher. 2)
Bonald hat wenigstens daran gedacht, dem Volke das Recht
wie die Pflicht zur Gehorsamsweigerung dann zuzusprechen,
wenn der Monarch sich gegen göttliches Gebot versündige 3),
ammd damit ein viel gefährlicheres Revolutionsrecht geschaffen,
als es jemals die Lehre von dem blos verfassungsmäßigen
Gehorsam hätte schaffen können. De Maistre aber findet
selbst in der Verletzung des göttlichen Gebotes keinen Grund
zur Weigerung des Gehorsams für die Unterthanen; denn
alle Uebel, welche aus dem Ertragen der abscheulichsten Mis-
regierung hervorgingen, seien gering gegen die Uebel einer
1) De Maistre, a. a. O., I, 105, 169, 229.
2) Urgesetzgebung, S. 48, 92.
:) De Maistre, a. a. O., I, 105.