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Charakter aufprägte, der allen übrigen Verhältnissen und Ein-
richtungen fehlte: Und dann, was war es anders als eine
Verdammung zu ewigem Stillstande, wenn de Maistre alles
Bestehende für göttlich erklärte, nur die Schöpfungen der Re-
sormation und der letzten Revolution nicht? Hieß es nicht,
die alten Institutionen des Staats um einer ihnen willkürlich
verliehenen Heiligkeit willen für unabänderlich erklären und
dem unheiligen, verbrecherischen Fortschritt ein für allemal
einen Riegel vorschieben? Mochten die Anhänger der gött-
lichen Legitimität auch manchen liberalen und den Bedürfnissen
jedes modernen Staatswesens entsprechenden Gedanken ver-
treten, sie kämpften damit doch nur selbst gegen ihre eigenen
Principien an und verwickelten sich, um der Welt oder auch
ihrer eigenen Einsicht die seltsame Lehre eines von Gott ge-
schaffenen Königthums schmackhafter zu machen, in leicht wahr-
nehmbare Widersprüche. Denn folgerichtig konnte es nur sein,
wenn man, wie vormals die Stuarts und dann auch Bonald
und de Maistre thaten, aus der göttlichen Verleihung des
Herrscherrechts, aus der gottähnlichen Stellung der Fürsten
auf eine Unfehlbarkeit der Herrscher, auf eine unbedingte Ge-
horsamspflicht der Unterthanen schloß, wenn man im Staate
alles Recht auf das Haupt des Monarchen, alle Pflicht auf
die Schultern der Unterthanen lud. Was konnte ein unab-
hängiges Richteramt, was überhaupt irgendeine politische In-
stitution bedeuten, wenn der Monarch kraft seiner legitimen
Uebernatürlichkeit den Umsturz derselben durch eine einfache
Berufung auf seine erhabene Stellung als Ebenbild, Statt-
halter, Mandatar Gottes rechtfertigen konnte? Der feste
Punkt jeder Rechtsordnung, welchen Malte-Brun in der gött-
lichen Legitimität erblickte, war nirgends weniger fest als in
den Ländern, wo sich der Seuverän für den unmittelbaren
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