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müsse der Staat göttliches und menschliches Reich in untrenn-
barer Einheit sein; in dem irdischen Zustande der Gottent-
ferntheit sei dies freilich nicht möglich, aber selbst in der
getrübtesten Weise sei er immerdar ein „göttlich-menschliches
Reich“. 1)
Von den gleichen oder doch ähnlichen Prämissen aus
waren die übrigen Verfechter der göttlichen Institution des
Staats regelmäßig zu einer Verflüchtigung des Staats= und
Rechtsbegriffes gelangt; Staat und Recht hatten ihnen nur
als Ausdruck des göttlichen Willens für existenzberechtigt ge-
golten, und der Ausspruch des Monarchen als des eigentlichen
Trägers der göttlichen Vollmacht mußte ihnen eben um der
letztern willen stets als Recht erscheinen. So liefen die Fol-
gerungen eines de Maistre, Bonald, Haller regelmäßig auf
eine unbeschränkte Despotie der Obrigkeit hinaus, welcher,
sobald sie angeblich göttliche Gesetze verletzte, wol durch die
Revolution, nicht aber durch das Recht Schranken gesetzt
werden konnten.
Dagegen verblendet sich Stahl — und gerade das ist es,
was ihn vor allen seinen Vorgängern auszeichnet — nicht über
die Natur des Staats, wenn er den Rechtsgrund des Staats
in diesem selbst als der realisirten Rechtsordnung sucht, die
Unterthanen für gebunden durch das Recht des Staats, nicht
durch das Recht Gottes erklärt und nur den tiefern sittlichen
Grund für den Staat wie für das Recht selbst in ein gött-
liches Gebot verlegt. )
Diese unleugbare Wahrheit, welche sicherlich jeder Publi-
cist annehmen kann, ohne damit dem Wesen des Staats und
1) Stahl, a. a. O., S. 181, 182.
2) Ebendas., S. 182, 183.