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gegenüber geltend gemachten Ansprüche gewähren. Einmal ist
der Begriff des europäischen Gleichgewichts stets ein außer-
ordentlich schwankender gewesen und hat der Kraft wie der
Schwäche zu jeder Zeit die Gründe und Gegengründe bei einer
Veränderung des europäischen Staatensystems geliefert. Dann
aber konnte, selbst abgesehen von dem unsichern Inhalte der
Lehre von dem europäischen Gleichgewichte, die Durchführung
der zur Herstellung eines solchen nöthigen Anordnungen keine
Rücksicht auf die entgegenstehenden dynastischen Rechte und
nationalen Ansprüche nehmen; die von Napoleon geübte Ver-
gewaltigung der Fürsten und Völker hätte somit von neuem
beginnen müssen: Europa hätte wol den Herrn, nicht aber
die Art der Herrschaft gewechselt.
Den Entschluß endlich, Europa nach den Forderungen
und Interessen der großen Culturvölker selbst ohne Rücksicht
auf die Throne einzelner Fürstengeschlechter zu ordnen, hatten
nur wenige Staatsmänner zu fassen vermocht, aber auch
dadurch bei der großen Unklarheit und Verschwommenheit
der nationalen Ziele jener Zeit keinen festen Gesichtspunkt
gewonnen.
Einen vollständig klaren Standpunkt nahm nur Talley-
rand ein, als er die definitive Beendigung der Revolution
forderte, und erklärte, eine solche könne lediglich in der Ver-
nichtung aller durch die vorhergehende Revolution zur Ent-
stehung gekommenen Dynastien und in der Wiedereinsetzung,
beziehentlich Erhaltung der alten legitimen Fürstenhäuser er-
blickt werden. Er verlangte, daß jedes „legitime Recht“
heilig gehalten werden solle 1), und folgerte die Verpflichtung
1) Note Talleyrand's an Metternich, d. d. Wien, 19. Dec. 1814