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Stahl war nahe daran, wie wir bereits ausführten,
ein derartiges Institut auch auf dem Gebiete des Staatsrechts
anzuerkennen; aber seine Neigung, das Bestehende lieber aus
dem Willen Gottes, statt aus dem seiner Entstehung und
seinem Zwecke nach unter den Menschen geltenden Rechte zu
erklären, beziehentlich zu rechtfertigen, machte es ihm unmög-
lich, eine staatsrechtliche Verjährung als ein der privatrecht-
lichen Ersitzung gleiches oder doch ähnliches Institut anzu-
nehmen: die Heilung der Illegitimität durch Gottes Willen
kann nicht zugleich die Heilung der Illegitimität durch Ver-
jährung sein. Vielmehr muß die Legitimirung des Usurpators
durch einen in der menschlichen Rechtsordnung selbst aner-
kannten Rechtssatz ausschließlich auf Grund dieses Rechts-
satzes ohne Berücksichtigung des überdies unbekannten oder
schon in der Gestattung der Usurpation zu Tage tretenden
göttlichen Willens erfolgen. So ist denn auch die beiläufige
Bemerkung Stahl's, die allmähliche Erwerbung der Legitimi-
tät habe mit der privatrechtlichen Ersitzung ein und dasselbe
Princip 1), nicht als die offene Vertretung einer wirklichen
staatsrechtlichen Verjährung, sondern nur als der Versuch auf-
zufassen, der das offene Unrecht, die zweifellose Gewaltthat
auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts heilenden Kraft der
Zeit eine Analogie in einem unzweifelhaft geltenden Institute
der privaten Rechtsordnung zu geben.
Aus dem gleichen Grunde dürfen wir auch in den
Aeußerungen anderer Juristen, welche nicht offen die Geltung
einer Verjährung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts
vertreten, sondern sich mit einer Berufung auf die alles ver-
söhnende Kraft der Zeit begnügen, wie dies z. B. Kalten-
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1) Stahl, a. a. O., Bd. 2, Abthl. 1, S. 291, 292, 405.