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Widerruf, die definitive Legitimation mit Vernichtung des
gegenüberstehenden Rechts, ist somit gleich unmöglich, und wir
verneinen deshalb die legitimirende Kraft einer völkerrechtlichen
Anerkennung überhaupt: es ist kein Richter da, welcher einen
Spruch über Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit eines Sou-
veräns fällen könnte, und es kann und darf auch keinen
solchen Richter geben, weil er die staatliche Souveränetät ver-
nichten würde.
Die völkerrechtliche Anerkennung eines illegitimen Sou-
veräns kann demnach keine Entscheidung über das Recht des
illegitimen und damit auch keine über das des depossedirten
Herrschers enthalten. Vielmehr bedeutet sie nichts weiter als
die Constatirung des Umstandes, daß der neue Staat ein
gleichgültig wie entstandenes völkerrechtliches Rechtssubject,
beziehentlich der neue, an sich usurpatorische Herrscher der
gleichviel wie zur Herrschaft gelangte Repräsentant eines solchen
Rechtssubjects sei, und daß deshalb auch alle dem Völkerrechte
angehörigen Rechtsverhältnisse zwischen dem anerkennenden
Staate und dem neuen Staate, beziehentlich Fürsten, platz-
greifen, insbesondere, daß regelmäßige diplomatische Beziehungen
nunmehr eintreten können. 1)
Hierdurch wird somit nicht im entferntesten dem neuen
Staate oder Souverän erst die Qualität eines völkerrechtlichen
Rechtssubjects übertragen; denn diese erwirbt er sich selbst.
Vielmehr wird nur anerkannt, daß der betreffende Staat oder
Souverän dies wirklich sei und deshalb von nun an auch dem
anerkennenden Staate gegenüber als ein Subject des Völker-
rechts gelten solle. Die Existenz des Staats, beziehentlich
1) Vgl. H. B. Oppenheim, System des Völkerrechts, 2. Ausg.,
S. 166, 168.