Full text: Das Legitimitätsprincip.

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Aber so groß auch die Bedeutung des Gewohnheitsrechts 
auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens ist, die Fähigkeit, eine 
Usurpation zu heilen, können wir ihm doch nicht zusprechen. 
Und zwar stellen sich einer derartigen Legitimation des Usur- 
pators folgende Erwägungen entgegen: 
Die Bildung eines Gewohnheitsrechts ist ein allmählicher, 
unabsichtlicher Vorgang 1), welcher erst nach der vollendeten 
Production eines bestimmten Rechtssatzes erkennbar wird. 
Ebendeshalb ist der Bildungsproceß eines Gewohnheitsrechts 
auch niemals unrechtlich, selbst dann nicht, wenn dasselbe dem 
geschriebenen Rechte derogirt. So führt denn auch die ge- 
wohnheitsrechtliche Beseitigung eines bestimmten Verfassungs- 
satzes niemals einen widerrechtlichen Zustand herbei: im Augen- 
blicke, wo es klar wird, daß ein bestimmter Rechtssatz durch 
die Rechtsüberzeugung des Volks außer Kraft gesetzt ist, ist 
auch bereits ein anderer Rechtssatz vorhanden, den die natio- 
nale Rechtsanschauung mit zwingender Nothwendigkeit an seine 
Stelle gesetzt hat. So erscheint der langsame Zersetzungs- 
proceß des Deutschen Reichs, an welchem das Gewohnheitsrecht 
in so hervorragender Weise betheiligt gewesen, zu keiner Zeit 
als ein wirklich unrechtliches Beginnen; denn die weiter und 
weiter gehenden Beschränkungen der monarchischen Gewalt, die 
Bildung der Landeshoheit und demzufolge die steigende Ab- 
schwächung der königlichen Macht sind durchgehends Rechts- 
bildungen gewesen, nicht aber Usurpationen, welche das Ge- 
wohnheitsrecht erst später geheilt hat. Mit andern Worten: 
der Rechtszustand des Deutschen Reichs, so sehr man ihn auch 
beklagen mochte, so weit seine Entwickelung auch von der ur- 
sprünglichen Anlage der deutschen Monarchie abgeirrt zu sein 
1) v. Gerber, a. a. O., S. 14, Note 5.
	        
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