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renden wie ergänzenden Einflusse des Gewohnheitsrechts nur
in sehr beschränktem Maße, einer gewohnheitsrechtlichen Be-
seitigung aber niemals unterliegen. Hierhin gehören nicht
blos jene höchsten, aber schwer genug zu unterscheidenden
Principien, „welche dem Einflusse der fortschreitenden Rechts-
bildung im Staate überhaupt entrückt sein sollen“ 1), sondern
vor allem diejenigen, vielleicht selbst durch Gewohnheitsrecht
geschaffenen Institutionen, welche die ihnen von der nationalen
Rechtsüberzeugung gegebene Existenz unabhängig von dieser
Rechtsüberzeugung fortzuführen im Stande sind, weil sie von
ihren berufenen Trägern, von deren Lebenskraft und politischer
Tüchtigkeit selbst dann noch aufrecht erhalten werden, wenn
die öffentliche Meinung und die in derselben zu Tage tretende
nationale Rechtsansicht ihre Beseitigung fordern sollte. So
ist z. B. der Adel zweifellos ein Product gewohnheitsmäßiger
Rechtsbildung; aber so oft auch ganze Nationen die Beseiti-
gung dieses Standes verlangt haben, das Gewohnheitsrecht
hat nirgends seinen Einfluß zum Zwecke der Beseitigung des
Adels geltend machen können: es lebte der Adel kraft eines
ausgeprägten Standesgeistes, eines ihm innewohnenden Lebens-
princips der nationalen Ueberzeugung von seiner Schädlichkeit
zum Trotze fort, und nur eine Revolution oder ein in for-
meller Hinsicht gültiger Erlaß der Staatsgewalt, d. i. ein ge-
schriebenes Gesetz, konnte ihn aus der eingenommenen Position
verdrängen oder gar ihn rechtlich vollkommen vernichten. In
noch viel höherm Grade ist die monarchische Institution dem
Einflusse des Gewohnheitsrechts entzogen. Wir haben zwar
in England wie in Deutschland wahrnehmen können, wie die
monarchische Gewalt auch durch Gewohnheitsrecht mehr und
1) v. Gerber, a. a. O., S. 14.