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eine Beseitigung der Monarchie oder der legitimen Dynastie
durch eine gewohnheitsrechtliche Bildung nicht möglich ist, son-
dern stets einen bewußten, aber regelmäßig widerrechtlichen
Willensact des Volks oder einer auswärtigen Macht voraus-
setzt. Es wird somit dem Gewohnheitsrechte, wenn es die
Usurpation heilen soll, eine vollständig andere Aufgabe gestellt,
als es sonst erfüllt: das Gewohnheitsrecht soll in diesem Falle
das Unrecht in Recht verwandeln; die nationale Rechtsüber-
zeugung soll die offenkundig widerrechtliche, gewaltsame, revo-
lutionäre Thronerwerbung von seiten des Usurpators für einen
ausreichenden Rechtsgrund der neuen Herrschaft ansehen und
gewissermaßen nach der Usurpation den Sprung machen,
welchen sie vor der Usurpation gar nicht machen konnte.
Wer aber auch daran keinen Anstoß nehmen sollte, daß
die Annahme der Möglichkeit einer gewohnheitsrechtlichen Hei-
lung der Usurpation die Sphäre, innerhalb deren das Ge-
wohnheitsrecht wirksam werden kann, nicht nur erweitern,
sondern sogar specifisch verändern würde, muß doch die Un-
anwendbarkeit des Gewohnheitsrechts auf die Legitimation des
Usurpators zugeben, wenn er sich die Frage vorlegt, wie denn
diese gewohnheitsrechtliche Heilung der Illegitimität eines
Herrschers vor sich gehen solle. Wir finden regelmäßig den
Usurpator, welcher sich in den zweifellosen vollständigen Besitz
der Staatsgewalt zu setzen vermocht hat und in diesem Besitze
zu behaupten weiß, im Vollgenusse der in der monarchischen
Gewalt enthaltenen Befugnisse. Sonach ist der Umstand, daß
das Volk dem illegitimen Monarchen gehorcht, daß die Ge-
richte ihre Competenz auf den Auftrag des Usurpators zurück-
führen, und daß das Volk sich von diesen unrechtmäßigen Ge-
richtshöfen Recht sprechen läßt, ohne an der Gültigkeit der
gefällten Erkenntnisse zu zweifeln, nur die unvermeidliche Wir-