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Aber es waren noch andere Verletzungen des Legitimitäts-
princips gut zu machen, ehe man wagen durfte, die Neu-
gestaltung des erschütterten Europa für die consequente Ver-
wirklichung desselben auszugeben.
Da blieb einmal noch Oesterreich, das sich selbst für
den Hort der neuerfundenen Legitimität erklärte 1), im Besitze
der ehemals der Republik Venedig angehörigen Gebiete.
Kein Rechtsbruch konnte klarer sein als die Vernichtung des
bis zu seinem Ende neutralen 2) venetianischen Staats durch
Bonaparte 3); selbst die damalige Zeit hatte in der Berufung
auf das barbarische Institut der Staatsinquisitoren, die Noth-
wendigkeit der Gedankenfreiheit und ähnliche Forderungen der
Humanität 4) keine Rechtfertigung des an der alten Republik
verübten Gewaltacts gesehen. Und als Oesterreich sich im
Frieden von Campo-Formio (vom 18. Oct. 1797) Venedig
von Frankreich abtreten ließ, hatte es nur den von Frankreich
begonnenen Rechtsbruch fortgesetzt 5), wenn man nicht an dem
von Talleyrand so heftig angegriffenen Kriegsrecht festhalten
wollte, das, unbekümmert um die gerechte Kriegsursache, jede
gelungene Eroberung für eine rechtmäßige Erwerbung erklärt
und deshalb auch dem Sieger ein freies Dispositionsrecht über
die willkürlich geraubten Gebiete eines existenzberechtigten
Staats zuspricht. Talleyrand aber hatte gerade, um die An-
cause peut-tre, jusqu'a un certain point Pexeuse des bouleverse-
ments auxquels PEurope à été en proie.
1) Karl Mendelssohn-Bartholdy, Friedrich von Gentz (Leipzig 1867),
S. 2.
2) Reuchlin, Geschichte von Italien, I, 20.
3) Häusser, Deutsche Geschichte, 3. Aufl., II, 109, 130.
") Hopf, Venedig, der Rath der Zehn und die Staatsinquisition
(Raumer's Historisches Taschenbuch, Jahrg. 1865, S. 123, 124).
5) Reuchlin, a. a. O., I, 21.