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konnte den wiederhergestellten Weltfrieden sicherlich nicht ge-
fährden, so schmerzlich auch das Oberhaupt der katholischen
Kirche es empfand, daß die rechtgläubigste Großmacht mit zwei
andersgläubigen Souveränen einen Bund geschlossen, welcher
die Christenheit als solche ohne Rücksicht auf die Verschieden-
heit ihrer Confessionen umfassen sollte. 1
Daß auch der Sultan von der auf der breiten Basis
eines verschwommenen, bekenntnißlosen Christenthums errich-
teten Allianz ausgeschlossen blieb, durfte gleichfalls nicht als
eine Gefahr für den Bestand der Wiener Verträge, sondern
nur als eine Bedrohung der Türkei angesehen werden, welche
als ein nichtchristlicher Staat sich auf keinen der in der Stif-
tungsurkunde des heiligen Bundes verkündigten herrlichen
Grundsätze der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und des Frie-
dens zu ihren Gunsten berufen konnte.
Ueberdies mangelte unter den damaligen Fürsten und
Staatsmännern jede Persönlichkeit, welcher aggressive Ten-
denzen gegen die zu Wien festgestellten Vereinbarungen hät-
ten zugetraut werden können. Die eben erst beendigte, mehr
als zwanzigjährige Kriegsperiode — in welcher so mancher legi-
time Fürst, wie Malte-Brun, der schwung= und phrasenvolle
Lobredner des Legitimitätsprincips, von der Königin Luise von
Preußen sagt, sein Brot mit Thränen gegessen 2) — hatte „den
Frieden um jeden Preis, die Ruhe unter aller Bedingung“ 5)
zum ersten Ziele der continentalen Politik gemacht. Auch fehlte
nach Napoleon's Sturze in allen Staaten des Festlandes die
schöpferische Kraft, welche von selbst zu Thaten drängt: „die
) v. Bernhardi, a. a. O., I, 492, 493, 496.
:) Malte-Brun, Traité de la Egitimité (Paris 1825), S. 120.
3) Gervinus, a. a. O., I, 321.