Eduard VII.
und
Lonsdale
io STEINE DES ANSTOSSES
dies nicht bestreiten, hatten aber dafür eine Formel gefunden: „Takt-
losigkeit ist Männlichkeit.‘“ Der Admiral von Senden wurde häufig vom
Kaiser in besonderen Aufträgen nach England geschickt und kam fast nie
zurück, ohne dort durch Mangel an Takt Anstoß erregt zu haben. Mit Vor-
liebe sprach er in den Londoner Klubs davon, daß wir uns eine Riesenflotte
bauen und, wenn diese erst fertiggestellt wäre, ein ernstes Wort mit Eng-
land sprechen würden. Besonders schädlich wirkte ein Zwischenfall, der
sich kurz vor meiner Ernennung zum Staatssekretär abgespielt hatte. Der
Kaiser hatte Senden nach London geschickt mit einem Geschenk für seinen
Onkel, den damaligen Prinzen von Wales, das dem Kaiser schön und ge-
schmackvoll erschien, das der verwöhnte und raffinierte Oheim aber nicht
besonders goutierte. Da der lebenslustige Prinz von Wales überdies alle
möglichen anderen Dinge vorhatte, so fand er nicht Zeit zu einer ein-
gehenden Unterhaltung mit dem Abgesandten des Kaisers. Als der emp-
findliche Admiral bei seiner Rückkehr nach Potsdam Seiner Majestät dies
meldete, wahrscheinlich en brodant un peu, mit einiger Ausschmückung
und tendenziöser Zuspitzung, geriet der Kaiser in Zorn und schrieb seiner
Großmutter, der Königin Victoria, einen Brief, in dem er sich in starken
und stark übertreibenden Wendungen über die ihm durch die schlechte
Behandlung seines Abgesandten widerfahrene Kränkung beschwerte. Der
Prinz von Wales erklärte alles, was der Admiral von Senden über die ihm
zuteil gewordene Behandlung erzählt hatte, für unwahr und hat ihm das,
was er eine „häßliche Klatscherei‘‘ nannte, nie vergessen. Jedesmal, wenn
der Kaiser nach England kam oder sein Oheim nach Deutschland, fanden
lange und peinliche Verhandlungen darüber statt, ob der Oheim Herrn
von Senden empfangen würde oder nicht.
Es ist traurig, zu sagen, daß derartige persönliche Reibungen im
letzten Ende oft weitreichende, selbst politische Konsequenzen hatten.
Ich habe, unterstützt von anderen einsichtigen Männern, mir große
Mühe gegeben, solche Steine des Anstoßes zwischen zwei so maß-
gebenden Persönlichkeiten, wie es der Kaiser und sein Oheim waren,
aus der politischen Bahn zu entfernen. Senden war nicht der einzige
und gefährlichste Stein. Es gab noch einen anderen Herrn, der
zwischen dem Kaiser und seinem englischen Oheim ständig Anstoß
und Ärger erregte, das war der Earl of Lonsdale. Der Kaiser
schwärmte für diesen Mann, der in mancher Hinsicht der sympathische
Typus eines lebensfrohen englischen Lords war: groß, breitschultrig, mit
rotblonden Haaren und hochrotem Gesicht, riesenstark, immer bereit zu
jeder körperlichen Anstrengung wie für jedes fröhliche Zusammensein,
immer ein Goldstück in der Hand für jeden, der um etwas bat, und einen
guten Spaß auf der Zunge. Er war einer der besten Reiter in England.