Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER TÄTOWIERTE EARL 71 
Er war auch ein großer Jachtman. Es war ein Vergnügen, ihn auf der 
Jacht „Meteor“, auf die der Kaiser ihn oft zum Segeln mitnahm, stehen zu 
sehen, in korrektem englischem Jachtanzug, die Hemdsärmel zurück- 
gekrempelt, die muskulösen Arme und die entblößte, breite und starke 
Brust, über und über mit durchstochenen Herzen, kleinen Flaggen und 
Doppelbuchstaben tätowiert, in gestickten Pantoffeln, um auf dem glatten 
Deck nicht auszugleiten, jedem Matrosen an Kraft und Geschicklichkeit 
überlegen. Er war wirklich a jolly good fellow, aber er war nun einmal die 
bete noire des Königs Eduard, der ihn „the greatest liar in England“ 
nannte, es auch nicht richtig fand, daß der Kaiser intim mit einem Herrn 
verkehrte, über dessen Vermögen schon seit längerer Zeit der Konkurs 
ausgesprochen war. In letzterer Beziehung befand sich der Earl of Lons- 
dale in derselben Lage wie später ein anderer Freund des Kaisers, der Fürst 
Max Fürstenberg, der gleichfalls in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Es 
war ein schöner Zug am Kaiser, daß er seinen Freunden die Treue hielt, 
das durfte aber nicht auf Kosten der Staatsräson geschehen, wie im Falle 
Lonsdale. Auch mußte ein Unterschied gemacht werden zwischen deutschen 
Freunden wie Senden, die als treue Kameraden angesprochen, behandelt 
und geschützt werden konnten, und einem frivolen Ausländer, von dem 
vorauszusehen war, daß er schwerlich an der Seite Seiner Majestät bleiben 
würde, wenn einmal die Trommel zum Streite wider Deutschland geschla- 
gen werden sollte. Als England 1914 Deutschland den Krieg erklärte, hat, 
wie die Zeitungen meldeten, Lord Lonsdale, der im Gefolge des Kaisers 
an manchem deutschen Manöver zu Lande und zu Wasser teilgenommen 
hatte, auf seinem Schloß die vielen Bilder, die er vom Kaiser besaß, mit 
dem Gesicht gegen die Wand umdrehen lassen. 
Admiral von Senden war von dem Vorwurf nicht freizusprechen, daß 
er sich, im Gegensatz zu seinen Kollegen vom Zivil- und Militärkabinett, in 
die auswärtige Politik einzumischen liebte, seiner ganzen Richtung ent- 
sprechend natürlich in antienglischem Sinne. Er hat in dieser Beziehung 
manches verdorben. Das Wesen des Dilettanten besteht nach Goethe darin, 
daß er die Schwierigkeiten, die in einer Sache liegen, unterschätzt. Von dem 
einfachen, aber, in seiner Einfachheit einfältig angewandt, gefährlichen Ge- 
danken ausgehend, daß man Rußland gegen England ausspielen müsse, 
hatte sich Herr von Senden mit dem russischen Marineattach€ Paulis be- 
freundet, mit dem er gern Gedankenaustausch über die Möglichkeit eines 
deutsch-russischen Zusammengehens gegen England pflog. Paulis war ein 
dunkler Ehrenmann, von dem niemand wußte, ob er nach seiner Herkunft 
Russe, Belgier oder Italiener war, und vor dem selbst der russische Bot- 
schafter leise warnte. In seiner Treue für seine „Freunde“ ließ sich aber der 
Kaiser nicht an seinem Kabinettschef und Admiral a la suite irremachen. 
Senden und 
Paulis
	        
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