MARTIALISCH UND SCHLAU 75
Eulenburg einnehmen und ruhte nicht, bis letzterer ihren Hof verlassen
hatte und als Öber-Zeremonienmeister zum großen Hof übergetreten war.
In dieser Stellung befand sich Graf August Eulenburg, als Wilhelm II.
den Thron bestieg, der zunächst seinen bisherigen Hofmarschall, Herrn
von Liebenau, zum Oberhofmarschall avancieren ließ. Herr von Liebenau
war nach meinem Bruder Adolf militärischer Begleiter des Prinzen Wilhelm
geworden, später sein Hofmarschall. Er hatte den Prinzen Wilhelm auf
die Universität Bonn begleitet und stand ihm während der Potsdamer
Dienstzeit beim 1. Garderegiment und bei den Gardehusaren zur Seite.
Herr von Liebenau war äußerlich etwas rauher Krieger, er hatte nicht die
Allüren eines Hofmarschalls. Die Hofdamen klagten über seinen „Wacht-
meisterton‘“, sie klagten noch mehr darüber, daß er ihnen zuviel Spazier-
fahrten und zu häufiges Ermüden der kaiserlichen Pferde verwies. Auch
die Kaiserin fand ihn zu bärbeißig. So mußte Herr von Liebenau gehen, der
übrigens trotz seiner martialischen Außenseite ein kluger, in seiner Weise
sogar schlauer Hofmann war, der dem Kreise Normann-Stosch-Roggen-
bach nahegestanden hatte und zu liberalen Anschauungen neigte. Ich habe
öfters beobachten können, daß liberal angehauchte Kammerherren, Adju-
tanten und Hofmarschälle den „höchsten Herrschaften‘ gegenüber nach-
giebiger und überhaupt serviler waren als stramme Konservative und
echte Junker. Liebenau verließ schwer gekränkt den Hof und zog sich nach
Wiesbaden zurück, wo er die Schar der verabschiedeten höheren Offiziere
und Beamten vermehrte, die in diesem reizenden Badeort am Fuße des
Nerobergs Betrachtungen darüber anstellten, wie viel besser es um Staat
und Armee bestellt gewesen wäre, als sie noch im Dienst waren. Liebenau
wurde durch den Grafen August Eulenburg ersetzt, der alle Eigenschaften
des Verstandes und des Charakters mitbrachte, um dem Kaiser wie dem
Hofe und damit, wie die Verhältnisse lagen, dem Lande ernste und ersprieß-
liche Dienste zu leisten. In einer für mich unvergeBlichen Unterredung hatte
mir, wie ich seinerzeit erzählte, im Oktober 1879 Fürst Bismarck gesagt,
es gebe manche gute und auch einige kluge Leute, aber wenige, die gleich-
zeitig gut und klug wären. Zu diesen seltenen Männern, zu diesen rarae
aves gehörte August Eulenburg. Sein Verstand war ebenso klar, scharf und
bell wie sein Charakter fest und zuverlässig. Er verlor nie den Kopf noch
die Haltung, weder als Hofmarschall auf dem glatten Parkett des Hofes
noch als Hausminister gegenüber den Stürmen der Novemberrevolution.
Ergehörte zu den.nicht vielen, denen Wilhelm II.,dem es leider bisweilen an
Takt fehlte, nie mankiert hat. Er wußte nach dem Umsturz durch seine vor-
nehme und kühle Ruhe auch die demokratischen Parvenüs zu bändigen, mit
denen er über die Vermö l heiten des königlichen Hauses zu
verhandeln hatte. Er sah alles von n hoher Warte, nahm das Große groß und
Herr
von Liebenau