„MEIN SOHN WIRD DEUTSCHLANDS RUIN SEIN!“ 19
rungsvertrages mit Rußland und die Begleitumstände dieser Kündigung,
daß manche exzentrische Reden und Handlungen des Kaisers und die
ganze Regierungsweise des jungen Monarchen ihn mit tiefer Besorgnis
erfüllten. Als die Kaiserin Friedrich Anfang der neunziger Jahre auf einer
Reise nach Italien in Palermo weilte, besuchte sie dort meine Schwieger-
mutter, Donna Laura Minghetti, die bei ihrem Sohne erster Ehe, dem
Fürsten Paolo Camporeale, in dessen schöner Villa an dem Olivuzze ab-
gestiegen war. Beide Damen unternahmen zusammen eine Spazierfahrt
nach dem zwischen Palermo und Termini gelegenen, meiner Frau gehören-
den, seit Jahrhunderten in dem Besitz der Familie Camporeale befindlichen
Altavilla. Der kleine Ort ist stolz auf eine 1277 von dem Normannenherzog
Robert Guiscard, dem Eroberer von Sizilien, erbaute berühmte Kirche,
La Chiesazza genannt, die ein wundertätiges Madonnenbild birgt. Man
überblickt von der Chiesazza aus ein gutes Stück der Nordküste von Sizilien.
Als die verwitwete Kaiserin selbst angesichts der herrlichen Landschaft, die
vor ihren Augen lag, den traurigen Ausdruck bewahrte, der ibr seit dem
Tode des Kaisers Friedrich eigen war, frug Donna Laura, ob das herrliche
blaue Meer, das sich vor ihr ausbreitete, der malerische Monte Pellegrino
mit der Kapelle der heiligen Rosalie im Hintergrunde, die Zitronen- und
Olivenbäume, die schlanken Palmen sie nicht auf andere Gedanken zu
bringen und ihren Schmerz zu lindern vermöchten. „Ich trauere nicht allein
um meinen teuren Mann“, erwiderte die Kaiserin, „ich trauere auch um
Deutschland.“ Und mit starrem Blick fügte sie hinzu: „Denken Sie an
das, was ich Ihnen heute sage, Donna Laura: Mon fils sera la ruine de
l!’Allemagne.‘“ Entsetzt durch diese düstere Prophezeiung bat und
beschwor Donna Laura, die eine optimistische Natur war und vor allem
die höchste Meinung von deutscher Kraft und Macht hatte, die Kaiserin,
sich nicht derartigen trüben Ahnungen hinzugeben. Diese aber wollte ihre
Prophezeiung nicht zurücknehmen. Lange Jahre trennten uns damals
noch von der furchtbaren Katastrophe, die im November 1918 über
Dynastie und Land hereinbrach. Von allen, die in jenen Augusttagen 1897
auf der „Eohenzollern“ fuhren, sollten nur zwei, der Kaiser und General
von Plessen, einundzwanzig Jahre später an jener Katastrophe handelnd teil-
nehmen. Ich selbst war neun Jahre vorher vom Kaiser in völliger Ungnade
geschieden. Graf August Eulenburg war während des ganzen Krieges durch
sein Amt als Hausminister an Berlin gefesselt, und so fehlten leider im
kritischsten Augenblick der preußischen und deutschen Geschichte sein
weiser Rat und sein ausgeglichener und fester Charakter dem Kaiser.
Lucanus, Hahnke, Senden waren schon lange von dieser Erde abberufen
worden, als in den düsteren Novembertagen 1918 der Zusammenbruch kam,
und ich preise sie glücklich, daß sie das Furchtbare nicht mehr zu erleben