Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER BALLSAAL 83 
so England gegenüber gedeckter da. Die britische Eifersucht gegen jeden 
Mitbewerber auf irgendeinem Punkt der Erde, jener Ausfluß des bekannten 
englischen Standpunkts des „dog in the manger‘ würde dann bis zu einem 
gewissen Grade von uns abgelenkt werden. Wir wollten an Kiautschou 
festhalten, das die Marine mit seinem Hinterland Schantung wohl mit 
Recht als den für uns geeignetsten Stützpunkt betrachte, hätten aber nichts 
dagegen, daß sich die Russen an irgendeinem Punkt der Halbinsel Liautung 
etablierten, in welche Richtung ja anscheinend ihre Aspirationen gingen. 
Kaiser Wilhelm war mit diesem Programm, wie ich es skizzierte, durchaus 
einverstanden und nahm es in keiner Weise übel, als ich ihm sagte, der 
Zar möchte nicht gegenüber dem älteren, erfahreneren, willensstärkeren 
und bedeutenderen Kaiser bei persönlichem Zusammensein zu schr in den 
Hintergrund treten, namentlich nicht vor seinen eigenen Untertanen. 
Während der nächsten Tage fanden noch wiederholt ähnliche Bespre- 
chungen zwischen dem Kaiser und mir statt, bei denen sich seine Freund- 
lichkeit und Güte immer gleich blieben. Wir waren inzwischen in den 
Finnischen Meerbusen eingelaufen: 
„Currit iter tutum non secius aequore classis 
Promisitque patris Neptuni interitum.“ 
Das Wetter war herrlich, die Ostsee so ruhig wie ein Binnensee, was dem 
Kaiser erwünscht war, den leidenschaftliche Liebe zur See erfüllte, der 
aber wie seine Mutter, die Kaiserin Friedrich, und wie der Admiral Nelson 
an Seekrankheit litt. Die Kaiserin Friedrich pflegte zu sagen, sie habe eine 
unglückliche Liebe für die See. 
Peterhof lag vor uns. Die Spannung des Kaisers hatte ihren Höhepunkt 
erreicht. Wenn er der Begegnung mit einem anderen Potentaten cent- 
gegensah oder seinen Fuß auf fremden Boden setzte, so bewegte ihn das 
aus Ungeduld, freudiger Erwartung und einer gewissen Nervosität zu- 
sammengesetzte Gefühl, mit dem ein junges Mädchen, einen Rosenstrauß 
in der Hand, zum erstenmal den Ballsaal betritt. Wie wird es abgehen? 
Wie werde ich abschneiden? Sind aber erst einige Rundtänze gut vorbei- 
gegangen, haben sich beim Kotillon Buketts über Buketts auf dem Stuhl 
der Glücklichen gehäuft, so überkommt sie das Hochgefühl freudiger Er- 
füllung der kühnsten Wünsche. In dieser Stimmung war der Kaiser natur- 
gemäß ausländischer Verführung besonders ausgesetzt. Es überkam ihn 
dann auch wohl eine Empfindung, die, wenn sie auch noch nicht Hybris 
war, doch die Grenzlinie zwischen Wunsch und Möglichkeit, Illusion und 
Realität leicht übersah. Es kam hinzu, daß der Kaiser mit seiner unge- 
wöhnlichen geistigen Empfänglichkeit und Beweglichkeit sich in jedem 
Lande zu Hause fühlte. Was man von Alcibiades gesagt hat, daß er mit 
o. 
Ankunft in 
Peterhof
	        
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