Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Großfürstin 
Maria 
Paulowna 
92 EINE VERRUSSTE PRINZESSIN 
fera un bien Enorme & l’Hellenisme.‘“ Als ich dies während des Berliner 
Kongresses dem Fürsten Bismarck erzählt hätte, habe dieser gemeint: 
„Wir sollen also die Welt in Flammen setzen, nur damit die Griechen 
Larissa annektieren oder Trikkala oder ein ähnliches Saunest, dessen Namen 
ich nicht einmal kenne.“ 
Ich hatte es vermieden, von mir aus gegenüber Murawiew die ostasiati- 
schen Fragen anzuschneiden, nachdem Fürst Hohenlohe mit kaum zu 
überbietendem Takt die Entgleisung des Kaisers bei seinem ersten Ge- 
spräch mit dem Zaren eingerenkt hatte. Aus eigenem Antrieb kam Graf 
Murawiew auf diese Materie mit dem Bemerken zu sprechen, daß er unsere 
Wünsche mit Bezug auf Kiautschou im Hinblick auf unsere großen und 
zunehmenden Handelsinteressen in Ostasien wie auf unsere Flottenpolitik 
wohl verstehe. Er neige persönlich zu der Ansicht, daß der Schwerpunkt 
der russischen Interessen mehr auf der Halbinsel Liautung liege. Er könne 
mir aber vorläufig nichts Bestimmtes sagen, da sich in dieser Beziehung am 
russischen Hofe noch verschiedene Strömungen und Wünsche durch- 
kreuzten. 
Am gleichen Tage wurde ich von der Großfürstin Maria Paulowna 
empfangen. Sie war nicht mehr die blendende Schönheit, als die ich sie 
in vergangenen Zeiten gekannt hatte, aber mit ihren 43 Jahren noch immer 
eine sehr anziehende Erscheinung. Ich empfing bald den Eindruck, daß 
ihre Treue und Anhänglichkeit für ihre deutsche Heimat bei ihr, der 
mecklenburgischen Prinzessin, nicht mehr so unbedingt waren wie einst. 
Sie war „verrußt‘. Gleich geblieben war sie sich in ihrer alten Abneigung 
gegen die regierende russische Kaiserin und den „großen“ Petersburger 
Hof. Sie hatte Maria Feodorowna nicht geliebt, sie liebte Alexandra 
Feodorowna ebensowenig, die Hessin sogar noch weniger als die Dänin. 
Sie klagte über die englische Steifheit der regierenden Kaiserin, durch die 
diese sich selbst und die ganze Dynastie unbeliebt mache. Der russischen 
Gesellschaft sei nun einmal nichts antipathischer als ein kaltes und un- 
nahbares Wesen. Die regierende Kaiserin glaube ihren Hochmut und ihre 
„english stifiness“ dadurch gutzumachen, daß sie einen übertriebenen 
Eifer für die orthodoxe Kirche an den Tag lege, was bei der indifferenten 
und skeptischen russischen Gesellschaft nur Spott hervorrufe. Überhaupt 
schien mir die Großfürstin nicht unbesorgt hinsichtlich der weiteren Ent- 
wicklung der innerrussischen Zustände. Im vollen Gegensatz zu der Zeit 
Alexanders III., unter dessen starker und wuchtiger Hand in Hofkreisen 
und unter den Upper ten Thousand mit der Möglichkeit eines Umsturzes 
nur von den wenigsten gerechnet wurde, fiel mir jetzt bei der Großfürstin 
wie auch bei anderen Damen der Petersburger Gesellschaft, die ich später 
sah, sehr auf, daß sie von einer Revolution in Rußland als von etwas wenn
	        
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