Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

GALADINER IN PETERHOF 93 
nicht Wahrscheinlichem, so doch durchaus Möglichem sprachen. Wie weit 
für den Fall einer solchen Revolution die Großfürstin, wenn nicht für ihren 
Mann, dessen unbedingte Loyalität sie kannte, aber wenigstens für ihre 
Söhne an die Rolle dachte, die in Frankreich gegenüber der älteren Linie 
der Bourbons die Orleans gespielt hatten, will ich dahingestellt sein lassen. 
Über die deutsche Entwicklung während des letzten Dezenniums sprach 
die Großfürstin abfällig und nicht ohne Schärfe. Die Entlassung des 
Fürsten Bismarck sei ein ungeheurer Fehler gewesen. Die „schroffe und 
plumpe‘“ Kündigung des Rückversicherungsvertrages, an dem Kaiser 
Alexander III., fast das ganze kaiserliche Haus und alle monarchisch und 
konservativ gerichteten Leute in Rußland festhalten wollten, wäre eine 
zweite und beinahe ebenso große „sottise‘“. In diesem Augenblick trat der 
Großfürst ein, hörte die letzten Worte seiner Frau und meinte in seiner gut- 
mütig-sarkastischen Weise: „Pourquoi abreuves-tu de reproches cet 
excellent Bülow pour des gaffes, dont il est parfaitement innocent ?“ 
In ernstem Ton fügte er hinzu, daß, wenn sich auch manches im Leben in 
seinen Folgen nicht wieder reparieren lasse, so bleibe es doch immer ge- 
boten, to make the best of every thing. Es käme darauf an, in Berlin wie in 
Petersburg ruhig Blut zu bewahren und keine neuen Ungeschicklichkeiten 
zu begehen. „‚Du sang froid et de l’habilite, voila ce qu’il faut.““ 
Am Abend des 7. August fand in Peterhof das übliche Galadiner statt. 
Vor dem Diner hatte der Zar den Kaiser zum Admiral der russischen Flotte 
ernannt. Es war die Art des Kaisers, daß er solche Äußerlichkeiten durchaus 
au serieux nahm. Er legte in sie einen tieferen Sinn, den die anderen gar 
nicht damit verbanden. Derartige Formalitäten nahm er viel zu ernst, 
und bis zu einem gewissen Grade traf auf ihn zu, was Beaumarchais von 
den Höfen des Ancien regime sagte, daß sie les choses serieuses avec fri- 
volite, dagegen les choses frivoles avec serieux nähmen. Wilhelm II. hatte 
schon bald nach seiner Thronbesteigung das Befremden des Fürsten Bis- 
marck dadurch hervorgerufen, daß die Ernennung zum englischen Admiral, 
zum Real Admiral of the Fleet, ihn in helle Begeisterung versetzte. Er 
explizierte damals dem großen Kanzler, daß diese Ernennung politisch wie 
militärisch von großer Bedeutung sei. Er habe nun die Möglichkeit und das 
Recht, direkt in Bau, Organisation und Leitung der englischen Flotte einzu- 
greifen. Er könne, wenn er englische Schiffe betrete, sofort das Kommando 
über sie übernehmen. Freilich war der Kaiser weit entfernt, die Rechte, die 
er aus einer solchen Ehrenstellung in einer fremden Marine für sich selbst 
ableitete, auch anderen zu konzedieren. Als in späteren Jahren der kaiser- 
liche Gesandte in Lissabon einmal berichtete, der König von Portugal habe 
sich nach der Bai von Vigo begeben, um als Admiral der englischen Flotte, 
welche Ehrenstellung auch er bekleidete, das dort liegende englische 
Wühelm II. 
russischer 
Admiral
	        
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