Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

94 DER GEÄNDERTE TOAST 
Geschwader zu inspizieren, meinte der Kaiser: „Dieser Fatzke! Es handelt 
sich um eine reine Ehrenstellung, die ihm gar keine Rechte gibt.“ Der 
große französische Historiker Hippolyte Taine gebraucht in seiner geist- 
vollen und tiefen „Philosophie de l’art‘‘ gern den Ausdruck „qualit& mai- 
tresse‘“. Er meint, daß wie ein Volk so auch der einzelne eine dominierende 
Eigenschaft, einen besonders hervorstechenden Charakterzug hätte. Die 
„qualite maitresse‘‘ Wilhelms II. war sein Mangel an Logik. Das machte ihn 
in der Konversation unterhaltend und oft geistreich, deshalb war er kein 
Philister, sondern was die Franzosen „primesautier‘‘ nennen. Aber es 
erschwerte die Geschäfte und eine stetige Führung der Politik. 
Als der Kaiser seinen Trinkspruch im Palais von Peterhof ausbrachte, 
stand er unter dem Eindruck der Freude über die Ernennung zum Admiral 
der russischen Flotte, die ihn schon beseelt hatte, als er dem Zaren Kiau- 
tschou anbot. Er sprach in seinem Toast von den „gnädigen Worten‘, mit 
denen ihn der Zar „so liebevoll“ willkommengeheißen hätte. Erlegte diesem 
seinen „tiefgefühltesten, freudigsten Dank zu Füßen“ für die überraschende 
Einreihung in „Euer Majestät glorreiche Flotte“. Das sei eine besondere 
Ehrung, die er in ihrer vollen Ausdehnung zu schätzen wisse und die auch 
seine Marine in besonderer Weise mit auszeichne. Er legte dann in „Euer 
Majestät Hände“ das „erneute Gelöbnis ab“, und dabei stehe, das wisse er, 
„sein ganzes Volk“ hinter ihm, daß er dem Zaren seine kräftigste Unter- 
stützung gegen jeden angedeihen lassen werde, der es versuchen sollte, das 
Friedenswerk des Zaren zu stören. Fürst Hohenlohe hatte einen mit mir 
redigierten Entwurf für den kaiserlichen Trinkspruch Seiner Majestät 
schon vor unserer Ankunft in Peterhof zugestellt. Der Kaiser aber hatte 
durch seine Zusätze unser Konzept so sehr verändert, daß der ursprüngliche 
Text kaum mehr zu erkennen war, und schoß ohne nochmalige vorherige 
Rücksprache mit uns seinen Toast ab. Ähnlich sollte es mir später nur zu oft 
mit den Entwürfen gehen, die ich Seiner Majestät für seine Briefe an den 
Zaren vorlegte. Der Kaiser war ein hervorragender Redner. Ich bin in den 
mir bekannten Parlamenten, und namentlich im Deutschen Reichstag, 
wo die rednerische Begabung seit jeher bescheiden war und seit der 
Revolution unter das Niveau jeder anderen zivilisierten Volksvertretung 
gesunken ist, wenigen so wirkungsvollen Rednern begegnet wie Wilhelm II. 
Er sprach kräftig und packend, ohne je banal zu werden, bilder- und 
farbenreich, ohne Schwulst, die Worte formten sich ihm leicht und anschau- 
lich im Munde, er war nie in Gefahr, den Faden zu verlieren. Welcher Unter- 
schied mit dem Zaren, der seinen Trinkspruch mit stockender Stimme 
mühsam von einem großen weißen Blatt vorgelesen hatte! 
Nach Aufhebung der Tafel wurden dem Fürsten Hohenlohe, Lucanus 
und mir im Appartement des Reichskanzlers die Stenogramme der ausge-
	        
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