RADOLINSKI = RADOLIN 095
tauschten Reden zur Korrektur vorgelegt. Ich plädierte dafür, die „gnädi-
gen Worte‘ und die Wendung „zu Füßen legen“ zu streichen, auch den
Schluß etwas abzuschwächen, der ein Hieb gegen England sein sollte.
Ich wies dabei darauf hin, daß die Rede des Zaren höflich und korrekt,
aber farblos und banal gewesen wäre. Lucanus widersetzte sich jeder
Änderung der kaiserlichen Worte, die den Kaiser nur unnütz irritieren
würde, und sagte mir, bevor wir uns trennten: „Um Gottes willen,
fangen Sie nicht gleich damit an, den Kaiser zu verstimmmen. Wohin soll
das führen?“ Ich schwieg, da dies die erste Erfahrung dieser Art war,
nahm mir aber vor, in Zukunft ein noch wachsameres Auge auf den Kaiser
zu haben.
Während am 9. August in Krasnoje Selo eine große Parade stattfand,
an der Kaiser Wilhelm teilnahm, fuhr ich mit Fürst Hohenlohe von Peter-
hof zu einem Frühstück bei unserem Botschafter, dem Fürsten Radolin,
nach St. Petersburg. Fürst Radolin war rein polnischer Abstammung.
Als er 17 Jahre alt geworden war, hatte ihn seine Mutter, eine kluge Frau,
derselben Familie entsprossen wie ihr Mann, gefragt, ob er Pole bleiben
oder Deutscher werden wolle. Sie ließe ihm freie Hand. Er möge aber kein
Zwitterwesen werden, keine Fledermaus, die in der alten Fabel nicht wisse,
ob sie zu den Säugetieren gehöre oder zu den Vögeln. Habe er seine Wahl
getroffen, so müsse er ein ganzer Pole bleiben oder ein ganzer Deutscher
werden. Hugo Radolin entschied sich für Deutschland und ist sich in dieser
Beziehung bis zum Schluß seines Lebens treu geblieben. Merkwürdiger-
weise, aber bei dem schwachen Nationalgefühl, das uns Deutschen eigen
ist, nicht verwunderlich, wurde seine zweite Frau, eine geborene Gräfin
Oppersdorf, die Schwester des Renegaten Hans Oppersdorf, der nach
Deutschlands Niederbruch zu den Polen überlief, mit der Zeit zu einer
immer schlechteren Deutschen, balb polnisch und halb französisch. Ihre
Mutter war eine Französin, eine Talleyrand gewesen. Hugo Radolin hatte
als preußischer Gesandter in Weimar, in der ersten Hälfte der achtziger
Jahre, einmal einer russischen Dame, der in Weimar ansässigen Baronin
Olga Meyendorff, die ihn fragte, ob ernicht als Pole einem von Liszt zu Ehren
des Schutzpatrons von Polen, des heiligen Stanislaus, komponierten Ora-
torium beiwohnen wolle, die unmutige Antwort gegeben: „Sachez, j’ex&cre
tout ce qui est polonais.‘““ Als der sterbende Kaiser Friedrich während der
99 Tage den inzwischen zum Ober-Hof- und Hausmarschall avancierten
Grafen Radolinski unter dem Namen Radolin in den Fürstenstand erhob,
dankte ihm dieser mit den Worten: „Vor allem danke ich Euer Majestät,
daß Sie mich von dem verfluchten ‚ski‘ befreit haben.“ Fürst Radolin war
sehr gewandt, ganz Kavalier, eine schmiegsame, etwas nachgiebige Natur,
weshalb ihn Fürst Bismarck den „Polen .mit dem weichen Rücken“ nannte.
Botschafter
Fürst
Radolin