Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

VORWORT DES HERAUSGEBERS 
emoiren im Sinne anderer Völker sind in Deutschland selten. Goethes 
„Dichtung und Wahrheit‘, Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“ 
gehören der Weltliteratur an, sind aber keine Memoiren. Die „Denkwürdig- 
keiten“ des Fürsten Bülow, die nunmehr nach dem Heimgang des Ver- 
fassers der Öffentlichkeit übergeben werden, sind von ihm, der die Memoiren- 
literatur Frankreichs und Englands beherrschte, als Memoiren im eigent- 
lichen Sinne des Wortes gedacht. Sie bringen nur Selbsterlebtes, Selbst- 
gehandeltes. Nur Vorkommnisse und Personen, mit welchen den Ver- 
fasser sein langes und erfolgreiches Leben in Berührung gebracht hat, 
werden behandelt. Philosophische und historische Betrachtungen finden 
sich nur da, wo sie an den eigenen Lebensinhalt anknüpfen. Der Verfasser, 
sein Handeln und Erinnern steht im Mittelpunkt des Werkes. 
Der Subjektivismus, von dem die „Denkwürdigkeiten‘“ des Fürsten 
getragen sind, strebt vor allem und über alles hinweg nach absoluter 
Richtigkeit der Darstellung, nach Gerechtigkeit und Objektivität des 
Urteils über Menschen und Geschehnisse. Seinem innersten Wesen ent- 
sprechend war er bemüht, kein Wort zu schreiben, keine Urteile zu fällen, 
keine Handlung zu bewerten, ohne von der Richtigkeit des Gesagten 
überzeugt zu sein. So sehr wünschte Fürst Bülow seinen „Denkwürdig- 
keiten‘ den Stempel der Wahrheit und Gerechtigkeit aufzudrücken, daß 
er allem Drängen seiner politischen Freunde und Verehrer zum Trotz zähe 
auf dem einmal gefaßten Beschluß beharrte, seine Memoiren erst nach 
seinem Tode veröffentlichen zu lassen. In diesem Verzicht auf augenblick- 
lichen Erfolg, in dieser Zurückstellung jedweden materiellen Interesses 
erblickte er die einzige sichere Bürgschaft für die von ihm erstrebte Unab- 
hängigkeit seines Urteils. Er wollte schreiben, wie er dachte, die Menschen 
beurteilen, wie er sie sah, gleichgültig, ob es sich um Souveräne oder diplo- 
matische Kollegen handelte. Er wollte nicht durch Rücksichten persön- 
licher Art gegen wen immer es sei gebunden sein. Die Welt, in die das Leben 
ihn gestellt, das Wirkungsfeld, das Gott ihm anvertraut hatte, es sollte sich 
den späteren Geschlechtern so darstellen, wie er es sich von hoher Warte 
in seinen Gedanken zurechtgelegt und ausgebaut hatte. Rein in seinem Ge- 
wissen, in voller Unabhängigkeit seiner Gesinnung, wollte er es der Nach-
	        
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