Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

104 DER TÄTIGKEITSDRANG WILHELMSII. 
Privatissimum über Flottenpolitik zu halten. An der Hand der von ihm 
selbst gezeichneten Schiflstabellen, die er dem Reichstag übersandt hatte, 
vorläufig mehr zu dessen Befremden als wirklichem Vergnügen oder gar 
wirklicher Überzeugung, setzte mir der Kaiser auf dem Oberdeck der 
„Hohenzollern“ stunden- und stundenlang auseinander, wie schwach wir 
noch zur Sce wären und wie notwendig die von ihm und seinem Tirpitz in 
Aussicht genommene Verstärkung unserer Flotte sei. Er gab sich beträcht- 
liche Mühe, mich mit beständig wiederholten Argumenten für den bevor- 
stehenden parlamentarischen und publizistischen Kampf auszurüsten. 
Inzwischen versandte die Sonne glühenden Brand, kein Lüftchen regte sich, 
glatt wie ein Spiegel lag die Ostsee. Um dem Kaiser und mir überflüssigen 
Zeit- und Kräfteverbrauch bei drückender Hitze zu ersparen, wies ich dar- 
auf hin, daß ich seit Jahren von der Notwendigkeit ausreichenden Schutzes 
für die von uns dem Meere anvertrauten Milliarden und Volkskräfte über- 
zeugt wäre et qu’il pröchait un converti. Aber er ließ sich nicht irremachen. 
Es lag in der Natur des Kaisers, daß, wenn ihn eine Sache interessierte, er 
selbst mit Hand anlegen wollte. 
Er war von Haus aus eine tätige und leistungsfähige Natur. Dieser ihm 
von der Natur verliehene schöne Trieb war durch seinen Erzieher, den Pro- 
fessor Hinzpeter, noch in jeder Weise gefördert und verschärft worden. 
Hinzpeter hatte sich bei der Erziehung des künftigen Königs und Kaisers 
die Persönlichkeit eines besonders tüchtigen und verdienstvollen thüringi- 
schen Fürsten aus der Vergangenheit zum Vorbild genommen. Der Name 
dieses Regenten ist mir entfallen: Johann Friedrich der Großmütige oder 
Ernst der Fromme oder ähnlich. Jedenfalls war es ein Fürst gewesen, der 
überall eingegriffen, jederzeit nach dem Rechten gesehen und nie gefehlt 
hatte, wo etwas los war. Ihn sollte sich der junge Prinz Wilhelm zum Vor- 
bild nehmen und es einst ebenso machen. Hinzpeter hatte nur vergessen, 
daß die Verhältnisse in einem kleinen thüringischen Herzogtum des 16. oder 
17. Jahrhunderts wesentlich verschieden waren von denen unserer heu- 
tigen Zeit. Bei dem Naturell des Kaisers und angesichts der Unmöglichkeit, 
in der sich heute selbst ein Friedrich der Große oder Napoleon I. befunden 
hätte, alles persönlich zu übersehen und zu bestimmen, konnte der Tätig- 
keitsdrang Wilhelms II. leicht mehr Unheil anrichten als Gutes schaffen. 
Ich weiß nicht, welcher französische Historiker von dem Fürsten Talley- 
rand gesagt hat, que sous Napoleon Ier dont l’activite exageree e£tait 
devenue un fleau, le prince de Talleyrand avait Eleve la paresse a la hauteur 
d’une vertu. Man hat mir nie Unfleiß vorwerfen können, ich bin auch weit 
davon entfernt, Wilhelm II. mit Napoleon I. zu vergleichen oder mich mit 
Talleyrand. Aber richtig ist, daß die übertriebene Aktivität Wilhelms II. 
ihre großen Gefahren hatte. Miquel drückte sich darüber in einer melan-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.