Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

LEHRER UND ZÖGLING 105 
cholischen Stunde einmal mit den Worten aus: „Den Kaiser interessiert 
nur, wobei er selbst mitmachen kann; macht er aber selbst mit, so verdirbt 
er die Sache.“ Das war zu scharf. Aber für zutreffend halte ich auch heute, 
was ich dem Kaiser unter vier Augen einmal sagte, nämlich daß seine 
Pläne, Ideen und Absichten nicht immer, aber häufig richtig, gut und selbst 
genial wären; in den Wegen und Mitteln, diese Ziele zu erreichen, irre er 
aber nicht selten, das wäre weniger seine Sache. Der Kaiser, der in einer 
guten Stunde war, stimmte mir zu und meinte, da hätte ich nicht unrecht, 
aber gerade deshalb ergänzten wir beide uns gut. 
Ob Hinzpeter für den Kaiser der richtige Erzieher war? Er war der 
Kronprinzessin Viktoria Anfang der siebziger Jahre durch den damaligen 
englischen Gesandten in Darmstadt, Sir Robert Morier, empfohlen worden, 
der Hinzpeter in dem Hause des Grafen Goertz kennengelernt hatte, wo er 
als Hauslehrer wirkte. Es war eine eigentümliche Fügung, daß gerade 
Morier, der spätere englische Gesandte in München und Botschafter in 
St. Petersburg, der einer der innerlich gehässigsten und durch seine genaue 
Kenntnis deutscher Verhältnisse wie deutscher Schwächen gefährlichsten 
Feinde des neuen, des Bismarckschen, des starken Deutschlands war, 
politisch ein Vorläufer Eduards VII., den Mann lancierte, der die Ausbil- 
dung des künftigen Deutschen Kaisers leiten sollte. Hinzpeter war vor 
allem sehr herrschsüchtig, er wollte überall die Hand im Spiele haben. 
Obwohl nicht ohne Eitelkeit, legte er auf äußere Ehren weniger Gewicht 
als auf realen Einfluß. Der Zweck stand ihm über den Mitteln. Man konnte 
ibn einen protestantischen Jesuiten nennen, wenn man die Jesuiten so 
sieht, wie sie ihren Gegnern erscheinen. Hinzpeter, der auch, nachdem 
Wilhelm II. erwachsen war, großen Einfluß auf ihn ausübte, was in zahl- 
reichen kaiserlichen Gunstbezeigungen zutage trat, dachte über manche 
Fragen verständig. Er war wie ich der Ansicht, daß die von Wilhelm II. 
: zeitweise gehegte und namentlich von dem Forschungsreisenden und Hoch- 
gipfel-Bezwinger Paul Güßfeldt genährte Abneigung gegen die klassischen 
Sprachen und das humanistische Gymnasium eine Verirrung war. Die 
wahre deutsche Bildung ruht auf den alten Sprachen. Die humanistischen 
Gymnasien sind die Pflanzschulen unserer Kultur, nichts kann die Vor- 
bilder und die Lehren ersetzen, die uns die alte Geschichte und die alten 
Schriftsteller für Vaterlandsliebe, Tapferkeit und alle Mannestugenden 
bieten. Einer der führenden Männer des deutschen Wirtschaftslebens, 
Albert Ballin, sagte mir einmal: „Wenn ich für einen Posten in meinem 
Betrieb der Hapag zwei Bewerber habe, einen, der den Homer und den 
Virgil in der Ursprache lesen kann, und einen anderen, der in alle Feinheiten 
der doppelten Buchführung eingeweiht und mit dem Effektengeschäft 
ebenso vertraut ist wie mit der Diskontierung von Wechseln, so ziehe ich 
Hinzpeter 
als Erzicher
	        
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