106 HINZPETER UND BISMARCK
den ersteren vor.‘‘ Ballin war dabei im besten Sinne des Wortes ein Self-
mademan. Hinzpeter begriff auch den Ernst der sozialen Fragen und der
sozialistischen Bewegung, dachte aber in dieser Richtung für meine Auf-
fassung zu pessimistisch. Er nährte bei dem Kaiser mit Recht dessen Inter-
esse für soziale Politik, war aber innerlich überzeugt, daß das alles doch
nichts hülfe, da der Sieg der sozialen Demokratie so unabwendbar wäre wie
ein von den Meteorologen vorhergesagtes Gewitter oder eine von den Astro-
nomen seit Jahrhunderten berechnete Sonnenfinsternis. Hinzpeter war
sehr originell. Er hat mir erzählt, daß, wenn er mit dem jungen Prinzen
Wilhelm spazierenging, er ihn aufforderte, über jeden Vorübergehenden
rasch ein bestimmtes Urteil abzugeben. Diese Art von Pädagogik hatte nur
zu gut angeschlagen. Schon der junge Wilhelm neigte zu vorschnellem Urteil
über Menschen und Dinge, Hinzpeter wollte vor allem das Selbstbewußt-
sein des jungen Prinzen stärken, das ohnehin ziemlich entwickelt war.
Er behauptete mir gegenüber, er wäre kein grundsätzlicher Gegner
des Fürsten Bismarck gewesen. Er habe seinen Zögling sogar selbst einmal
zum Fürsten Bismarck geführt, damit er wisse, wie ein wirklich großer Mann
aussehe. Es ist mir aber doch zweifellos, daß Hinzpeter zu dem Sturz des
Fürsten Bismarck im Jahre 1890 das Seinige beigetragen hat, sei es aus
prinzipiellem Widerspruch gegen die antisozialdemokratische Politik des
Fürsten, sei es, was mir wahrscheinlicher ist, weil er sich vom Fürsten
Bismarck zu wenig beachtet und honoriert glaubte. Frau Dr. Hinzpeter
war übrigens eine Französin, die ihrerseits die Schwestern Wilhelms Il. er-
zogen hatte. Unsympathisch war an Hinzpeter, daß er hinter dem Rücken
des Kaisers oft recht bissig über ihn sprach, ihm selbst aber gleichzeitig
Briefe schrieb, die an Kriecherei ihresgleichen suchten. Der Kaiser zeigte
mir häufig solche Briefe, was Hinzpeter freilich nicht wußte. Unter vier
Augen vertrat Hinzpeter mir gegenüber die Ansicht, daß seinem Zögling
jede philosophische, höhere, ins Innere gehende Begabung fehle. Er sei nur
für mechanische Dinge, das Handwerksmäßige, befähigt. „Er hätte Ma-
schinenbauer werden sollen.“ Jeder Seeoffizier würde mir sagen, daß nie-
mand sich besser auf Flottensignale verstehe als Wilhelm II., daß kein
Kapitän so genau jeden schiffstechnischen Ausdruck kenne, daß der Kaiser
dabei aber unfähig wäre, das kleinste Schiff von Kiel nach Eckernförde zu
führen. Zu Lande wäre es ebenso. Er könne Manöver kritisieren, aber in
keiner Weise selbst Heere führen. Das wäre insofern ein Glück, als der
Kaiser schon deshalb den Krieg scheue und, wenn es zu einem Krieg käme,
sicherlich anderen ganz die Führung und die Verantwortung überlassen
würde. Höchstens in Marineangelegenheiten werde er sich einmischen
wollen. Ich will nicht verschweigen, daß ich seit dem Umsturz mancher
republikanischen „Größe“ begegnet bin, auf die das geistvolle Wort von