DER EINSEGNUNGS-TOAST 107
Leibniz zutraf: Es gebe wenige Menschen, die alles wüßten, aber viele, die
alles besser wüßten.
In beinahe grausamer Weise führte Hinzpeter die starke Neigung des
Kaisers, durch den Schein zu wirken und ihn für Wirklichkeit zu nehmen,
auf seinen seit seiner Geburt verkrüppelten linken Arm zurück. Schon als
Kind habe er, namentlich von dem Prinzen Friedrich Karl, der roh sein
konnte, häßliche Äußerungen gehört, daß ein Einarmiger nicht König von
Preußen werden dürfe. Das habe in ihm das Bedürfnis erzeugt, durch ein
möglichst forsches Auftreten nach außen, durch Uniformen und Orden,
durch den baumlangen Leibgardisten hinter sich und den vorgestreckten
Marschallstab in der Rechten auf Truppe und Volk zu wirken. Dies Urteil
ist ungerecht. Zu dem vielen, was nicht nur sympathisch, sondern achtungs-
und selbst bewunderungswürdig an Wilhelm II. war, gehörte die Energie,
mit der er, ohne seinen unbrauchbaren linken Arın irgendwie zu verstecken,
die durch ihn verursachten Schwierigkeiten meisterte. Hinzpeter hatte
einen bissigen Humor. Anläßlich der Einsegnung eines jüngeren Sohnes
des Kaiserpaares fand im kaiserlichen Schloß ein Diner statt, bei dem der
Kaiser einen Toast ausbrachte, der mit einem feurigen Bekenntnis zu
unserem Herrn und Heiland schloß. Nach Tisch meinte Hinzpeter zu mir:
„Ich dachte schon, der kaiserliche Toast würde mit den Worten schließen:
‚Unser Herr Jesus Christus, hurra, hurra, hurra!‘“ Hinzpeter äußerte sich
bisweilen so scharf über den Kaiser, daß ich, der ich die submissen Briefe
kannte, die er an den Kaiser richtete, manchmal den Eindruck hatte, er
spiele die Rolle eines Agent provocateur. In einem Punkt war sein Einfluß
auf den Kaiser zweifellos kein günstiger gewesen. Hinzpeter war taktlos.
Bald nach der Thronbesteiguig des Kaisers erschien sein Buch „Kaiser
Wilhelm IL“, das ungefähr mit den Worten anfing: Der junge Kaiser, der
eine Mischung von hohenzollerischem Egoismus mit welfischem Eigensinn
sei, wäre nicht leicht zu erziehen gewesen. Als sie diese Worte aus dem Munde
eines Prinzenerziehers und Geheimrats vernahm, lief der ganzen alten
Generation in Berlin ein Schauer übern Leib, wie dem armen Gretchen,
dem es in seinem Stüblein so schwül, so dumpfig wird und die dann das
unvergängliche Lied vom König von Thule leise singt. Die Alten überkam
eine Vorahnung der Taktlosigkeiten, die uns bevorstanden, nachdem wir
fast dreißig Jahre lang durch den taktvollsten aller Fürsten, Wilhelm I.,
verwöhnt worden waren.
Als wir am 14. August 1897 wieder in Kiel eintrafen, war mein Privatis-
simum in nauticis zur Zufriedenheit des Kaisers beendigt, und er forderte
mich auf, baldmöglichst nach Wilhelmshöhe zu kommen, wohin er auch
Tirpitz befohlen habe. Ich erledigte so rasch als möglich die in Berlin auf
mich wartenden Geschäfte und begab mich nach dem alten Schloß, das
Nach
Wilhelms-
höhe