Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

SEINE FEINDE 109 
Konzeptionen fähig, der allergrößten, und dabei drang sein Blick in jede 
Einzelheit. Er verband kühne Phantasie mit nüchterner Berechnung. 
Tirpitz hatte, wie gesagt, viele Feinde. Es war natürlich, daß in einer 
späteren Zeit Herr von Bethmann Hollweg ihn haßte, denn die Unzuläng- 
lichkeit liebt nie die Überlegenheit, und der Mittelmäßige sieht in dem 
Hervorragenden gern seinen persönlichen Feind. Es war auch begreiflich, 
daß Admiral Müller, den sich Wilhelm II. leider gerade für die Kriegszeit 
als Chef des Marinekabinetts ausgesucht hatte, ein Gegner des Admirals 
von Tirpitz war, denn Müller gehörte zu jenen von Bismarck gebrand- 
markten Beamten, die, gleichgültig für die Folgen ihrer Handlungen, ruhig 
schlafen, wenn sie sich nur durch eine auf diesem oder jenem Wege er- 
schlichene allerhöchste Willensäußerung gedeckt wissen. Man konnte auch 
verstehen, daß der Schwager des Admirals von Müller, der Admiral von 
Holtzendorff, ein hohler Schwadroneur und Renommist, dabei leider Fa- 
vorit des Kaisers, den sachlichen und ernsten Tirpitz nicht goutierte. Aber 
auch unter Gutgesinnten hatte der Admiral Tirpitz manche Gegner. Man 
mißtraute ihm. Er galt für intrigant, für unzuverlässig. Er galt für unwahr- 
haftig. Richtig war, daß Tirpitz, das Ziel vor Augen, nach dem er mit allen 
Kräften drang, unter Umständen auch Um- und Schleichwege nicht ver- 
schmähte, um seine Absichten durchzusetzen. Das Ziel: die Flotte, war 
ihm alles, und mit dem Psalmisten konnte er von sich sagen (Psalm 69, 17): 
„Ich eifre mich schier zu Tode um dein Haus.“ Der Eifer um und für die 
Flotte verzehrte ihn. 
Tirpitz galt unter Kameraden und Kollegen für unverträglich. Das war 
an und für sich noch nicht so sehr zu tadeln, bedenklicher war seine 
Neigung, andere, ebenfalls wichtige und beachtenswerte Interessen seinen 
Zielen zu opfern. Fürst Bismarck klagte oft über den in Deutschland und 
unter deutschen Beamten herrschenden Schwadronspatriotismus, d.h. 
jene Mentalität, die den Rittmeister der dritten Schwadron gleichgültig 
macht für den Futtermangel bei der zweiten Schwadron, wenn nur die 
Gäule seiner eigenen Schwadron blitzblank aussehen. Es lag eine gewisse 
Gefahr vor, daß Tirpitz, indem er alles auf die Flotte konzentrierte, sich 
verleiten lassen könnte, die Marine auf Kosten der Armee zu fördern. Die 
Armee aber war und blieb der Atlas, auf dessen Schultern wie zur Zeit 
des großen Königs Preußen und Deutschland ruhten. Und wenn Leon 
Gambetta einst von der französischen Armee gesagt hatte, sie wäre der 
Stolz Frankreichs und das Fundament nicht nur seiner Größe, sondern 
seiner Existenz, „notre dernier salut et notre supr&me espoir“, so galt das 
mindestens ebensosehr für Deutschland. Tirpitz hatte einen Fehler: Er 
war kein eigentlich politischer Kopf, es mangelte ihm wie den meisten 
Land- und Seesoldaten der Sinn für Nuancen. Er war geneigt anzunehmen,
	        
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