DER KAISER UND DER „MEISTER“ 113
Das Verhältnis zwischen Tirpitz und Wilhelm II. hat viele und große
Schwankungen durchgemacht. 1897, in Wilhelmshöhe, schwärmte der
Kaiser für den Staatssekretär des Reichsmarineamts, und wenn er mit mir
in dem schönen Schloßpark spazierenging, so fand er für ihn nicht genug
Worte des Lobes, der Anerkennung und der Bewunderung. Der Kaiser
nannte damals Tirpitz den „Meister“, einen Beinamen, den dieser schon als
junger Offizier von seinen Kameraden erhalten hatte, die seine Über-
legenheit fühlten. Aber es folgten später Zeiten, wo das Verhältnis zwischen
dem Kaiser und dem Admiral sich trübte. Einerseits überhäufte ihn der
Kaiser mit Auszeichnungen und Ehrenbezeigungen — Tirpitz wurde Staats-
minister, er wurde geadelt, er erhielt den hohen Orden vom Schwarzen
Adler, er wurde Großadmiral — aber gleichzeitig fielen von allerhöchster
Stelle auch unfreundliche Äußerungen über ihn, und der Kaiser war mit dem
Admiral, auch wenn dieser vor ihm stand, nicht selten ungnädig und ge-
reizt. Die Besorgnis, daß man Tirpitz und nicht den Kaiser selbst für den
Schöpfer der allmählich immer stattlicher werdenden Flotte halten könnte,
präokkupierte den Kaiser, und sein Mißtrauen in dieser Richtung wurde
von Tirpitz feindlicher Seite aus Neid oder Niedertracht genährt.
In demselben Wilhelmshöhe, wo ich 1897 vom Kaiser so viel Schönes
über den „Meister“ Tirpitz vernommen hatte, unternahm ich gerade zehn
Jahre später in derselben schönen Sommerzeit mit dem Kaiser einen
Spaziergang, der uns zu dem farnesischen Herkules hinaufführen sollte.
Man gelangt dorthin auf einem schmalen, etwas steilen Fußpfad. Der
Kaiser ging voran, ich folgte. Ich weiß nicht mehr, wie das Gespräch auf
den Staatssekretär des Reichsmarineamtes kam, erinnere mich aber, wie
der Kaiser mir lebhafte Vorwürfe machte, daß ich ihn gezwungen hätte,
Tirpitz zu behalten. Darüber würde ich mir noch auf meinem Totenbett
bittere Vorwürfe machen. Ich hätte ihm Tirpitz aufgezwungen. Ich ent-
gegnete, daß ich Tirpitz kaum gekannt hätte, als der Kaiser ihn vor
meinem Amtsantritt zum Nachfolger des Admirals Hollmann bestimmt
habe. Ich wäre immer der Ansicht gewesen, daß wir für einen ausreichenden
Schutz unserer Seeinteressen sorgen müßten, nachdem wir durch die natür-
liche wirtschaftliche Entwicklung des deutschen Volkes nun einmal auf
diesen Weg gedrängt worden wären. Aber die Flottenvorlagen wären doch
das Werk, das vom Kaiser freudig begrüßte und wiederholt anerkannte
Werk von Tirpitz gewesen. Nachdem wir seit dem Ende der neunziger
Jahre diesen Weg eingeschlagen hätten, sei ich allerdings der Ansicht ge-
wesen, daß Admiral von Tirpitz mit seinen eminenten organisatorischen
Fähigkeiten und seiner enormen Arbeitskraft für die schwere und verant-
wortungsvolle Aufgabe, um die es sich handele, der beste Mann wäre.
Daran hätten auch ziemlich häufige, bisweilen recht erhebliche und nicht
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