Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE DEUTSCHE MARINE 115 
Deutschland keinen zurechnungsfähigen Menschen gibt, der nicht davon 
überzeugt wäre, daß, wenn auch gewiß der eine oder der andere der Gc- 
nannten in dieser oder jener Frage geirrt hat, sie doch alle keine andere 
Richtschuur kannten als das Wohl des Staates, der Dynastie und des 
Kaisers selbst. 
Die dem Reichstag zu unterbreitende Flottenvorlage wurde 1897 in 
Wilhelmshöhe von dem Kaiser, Tirpitz und mir eingehend durchgesprochen, 
teils A trois, teils auch in Einzelgesprächen zwischen dem Kaiser und mir 
und zwischen mir und dem Staatssekretär des Reichsmarineamts. Tirpitz 
legte uns die Grundzüge der Marinevorlage dar, die einige Monate später 
veröffentlicht werden sollte. In der Vorlage sollte betont werden, daß die 
verbündeten Regierungen nicht uferlose Flottenpläne verfolgten und eben- 
sowenig die Rechte des Reichstags verletzen wollten. Unser Ziel sei, in 
gemessener Frist eine deutsche Marine zu schaffen, leistungsfähig und 
stark genug, um die Seeinteressen des Reichs wirksam zu vertreten. 
Aus dieser Vorlage wehte ein ganz anderer Wind als aus allen früheren 
Marinevorlagen. Aus ihr sprach ein klarer Geist und ein starker Wille. Das 
ganze Projekt wie seine einzelnen Bestimmungen waren aus einem Guß. 
Es war vorläufig nur ein Projekt, aber ein Plan, der große, sehr große und 
weite Horizonte eröffnete. In diesen Horizonten, in dieser Projektion auf 
die Zukunft lag die Größe, aber auch die politische Gefahr der Tirpitzschen 
Marinevorlage. Ich wiederholte dem Admiral und ich betonte nochmals 
gegenüber Seiner Majestät, ich zweifelte nicht daran, daß man dem deut- 
schen Volk in seiner großen Mehrheit die Notwendigkeit einer Verstärkung 
unserer Flotte werde klarmachen können. Ich sei auch überzeugt, daß ein 
richtiges Auftreten und Sprechen der Regierung in Kommission und 
Plenum den Reichstag mit fortreißen würde. Ich hätte noch keine parla- 
mentarische Erfahrung, aber mein Gefühl sage mir, daß die Vorlage im 
Reichstag durchgehen würde. Zweifelhafter wäre mir, ob England uns die 
Möglichkeit und die Zeit lassen würde, die weitausschauenden und weit- 
reichenden Pläne des Admirals Tirpitz durchzuführen. Hier liege der 
Knotenpunkt der ganzen Frage und unserer ganzen Lage. Schon vor vielen 
Jahren, vor fast einem halben Jahrhundert, habe unser alter Ernst Moritz 
Arndt, gewiß ein treuer Patriot, geschrieben: „Welche dreifache Eifersucht 
würde England sogleich offenbaren, wenn Deutschland jemals in die würdige 
Stellung kommen könnte, nur den Anfang einer Seemacht zu bilden!“ 
Wir dürften uns nicht in die Abhängigkeit von England begeben, denn 
wenn wir uns ganz an England bänden, würde dieses uns nicht gestatten, 
unsere wirtschaftliche Entfaltung, die den britischen Vetter schon sehr 
stark beunruhige, durch einen Stacheldraht zu schützen, der uns ihm gegen- 
über selbständig mache. Wir dürften England weder provozieren noch uns 
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Die 
Flottenvorlage
	        
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