VORWORT DES HERAUSGEBERS xI
selbständig Handelnden, der zunächst drei Jahre unter dem greisen Fürsten
Hohenlohe die auswärtige Politik Deutschlands und 1900 bis 1909 die
Gesamtpolitik des Reiches leitet, selbst mehr und mehr Mittelpunkt der
politischen Welt Europas. Auf dem Gebiet der äußeren Politik ist Höhe-
punkt die bosnische Krise 1908/1909, die mit einem glänzenden diploma-
tischen Erfolg Deutschlands abschließt. Höhepunkt der inneren Politik
sind die Reichstagswahlen 1907, die zu einer vernichtenden Niederlage der
Sozialdemokratie führen und einer weitausschauenden weisen Politik der
Evolution die Wege ebnen sollten, auf denen der Fürst das politische Leben
des deutschen Volkes behutsam zu modernisieren und parlamentarisch
auszugestalten dachte. Dies weitgreifende Programm, zu groß angelegt,
um zur Zeit seiner Inangriffnahme von den Banausen der deutschen Tages-
politik verstanden zu werden, erfuhr durch Bülows Rücktritt 1909 seinen
jähen Abschluß. Die Tragik, die über den Geschicken des deutschen Volkes
liegt, brachte es mit sich, daß der Nachfolger des Fürsten, Bethmann Holl-
weg, es als sein Programm verkünden konnte, Deutschland und Preußen
nicht in das Lager des Parlamentarismus verschleppen zu lassen. Im letzten
Band spricht Bülow der Spectator, der aus der Bethmannschen Zauder-
politik Wolken banger Sorge emporsteigen sieht. Absoluter Gegner der
Fatalitätstheorie und im Bismarckschen Geist ebenso entschiedener Gegner
prophylaktischer Kriege, prüft er die Entstehung des Weltkrieges mit der
überlegenen Weisheit eines in der Schule von vier Jahrzehnten politischer
und diplomatischer Tätigkeit geschärften Geistes. Aus der These, daß weder
Kaiser Wilhelm II., noch die deutsche Regierung, noch das deutsche Volk
den Krieg gewollt, daß aber die unfähige politische Leitung Deutschlands
im Jahre 1914 die Nation am Gängelband Österreichs in den unheilvollsten
aller Kriege verstrickt habe, klingt jene Unternote tiefen vaterländischen
Schmerzes, die dem dritten Bande bis zu seinem Ende eigen ist, und zeigt,
wie bitter schmerzlich es dem Fürsten war, tatenlos all das Unheil um sich
vollenden zu sehen.
Das vertraute Verhältnis, in dem Fürst Bülow zu Kaiser Wilhelm II.
stand, brachte es mit sich, daß beider Meinungen und Ansichten öfter
gegeneinanderstießen, als dies zwischen Souverän und Minister der Fall zu
sein pflegt. Wenn die „Denkwürdigkeiten‘“ des Fürsten Bülow sich wieder
und wieder mit dem Kaiser beschäftigen, so liegt dies in der Intimität ihres
langjährigen freundschaftlichen Verhältnisses begründet. Trotz aller
Schwierigkeiten aber, die Kaiser Wilhelm II. durch Unbesonnenheit und
Taktlosigkeit dem Fürsten Bülow auf außer- und innerpolitischem Gebiet
bereitet haben mag, trotz deserregten Widerspruchs,den manche übermütige
Geste des Kaisers bei der gesamten Nation hervorrief, trotz des vielen, was
der Fürst mit geschickter Hand, ungewußt von der Öffentlichkeit, in der