116 „DER BÖSE ALTE IN FRIEDRICHSRUH“
an England binden. Zwischen dieser Szylla und jener Charybdis liege die
Gefahrzone, die zu durchmessen wäre. Die politische Lage würde mir sehr
erleichtert werden, wenn bei unseren Neubauten die großen Schiffe nicht
zu sehr in den Vordergrund geschoben und der Akzent mehr auf die Kreuzer,
auch auf Torpedos und Küstenbefestigungen gelegt würde. Das Gegenteil
sei aber der Fall. Tirpitz wolle sogar ausdrücklich auf neue Küstenpanzer-
schiffe verzichten.
Meine Einwürfe riefen den lebhaften Widerspruch des Kaisers hervor.
Sie verstimmten ihn. Er ließ sich mir gegenüber unter vier Augen zu der
Bemerkung hinreißen, das sei mir wohl von dem „bösen Alten in Friedrichs-
ruh“ beigebracht worden. Der habe ja auch Tirpitz geraten, keine großen
Kampfschiffe zu fordern, sondern nur Kreuzer. Ich konnte dem Kaiser
wahrheitsgetreu erklären, daß Fürst Bismarck mit mir über die Marine-
vorlage und Marinepolitik überhaupt nicht gesprochen habe. Der Admiral
von Tirpitz motivierte in Wilhelmshöhe gerade die Forderung von Linien-
schiffen mit soviel Sachkenntnis und so überlegener Beherrschung der
Materie, daß es für einen Laien schwer war, ihm auf diesem Gebiete mit
Erfolg zu widersprechen. Ich ließ auch keinen Zweifel darüber, daß ich
nicht geschmacklos genug wäre, den Bönhasen zu spielen, der den Meistern
der Zunft ins Handwerk pfuscht. Ich dürfe aber nicht verschweigen, daß die
politische Sicherung der Durchführung der Flottenpläne um so difhiziler
würde, je mehr wir die Aufmerksamkeit der Engländer auf die großen
Schiffe lenkten. Ich wäre vorläufig nicht der Meinung, daß England durch
unseren Flottenbau zu einem gewaltsamen Coup veranlaßt werden würde,
zu einem Ultimatum oder gar zu einem Vorgehen, wie es Albion vor neun-
zig Jahren gegenüber Dänemark angewandt hätte. Unser politisches Ver-
hältnis zu England werde aber außerordentlich schwierig werden: Wenn wir
uns vertragsmäßig an England bänden, läge darin schon mehr oder weniger
der Verzicht auf die Durchführung unserer Flottenpläne, denn sie seien
kaum vereinbar mit einem wirklich aufrichtigen und vertrauensvollen
deutsch-englischen Bündnis. Aber auch wenn wir volle Bewegungsfreiheit
bebielten, müßten wir nach Möglichkeit vermeiden, was zwischen uns und
der größten Seemacht zu unnötigem Mißtrauen und überflüssigen Friktionen
Anlaß geben könnte. Wir müßten den Risikogedanken als den eigentlichen
Zweck des deutschen Flottenbaus in den Vordergrund stellen, immer wieder
hervorheben, daß unser Flottenbau keine offensive Bedrohung bedeute,
sondern nur gegenüber fremdem Angriff für den Bedroher unseres
Friedens ein stets wachsendes Kriegsrisiko schaffen solle.
Tirpitz versprach mir, daß ich in dieser Beziehung auf seine Unter-
stützung rechnen könne, und er hat diese Zusage gehalten. Er war stets
bemüht, die Stapelläufe der Kriegsschiffe möglichst wenig dekorativ zu