EIN RITTER DES MITTELALTERS 119
anlassen, bisher wenig Erfolg gehabt hatten. Es war alles an ihm ab-
geglitten wie Wasser am Entenflügel, um eine Bismarcksche Wendung zu
gebrauchen. Oder noch besser, um mit Goethe zu sprechen, der Seidenwurm
ließ sich das Spinnen nicht verbieten.
Am 1.September traf ich mit dem Kaiser inWürzburg wieder zusammen.
Hier sollte die große Herbstparade des 2. Bayrischen Armeekorps statt-
finden. Die alte Bischofsstadt, im Norden überragt von der Feste Marien-
burg, anmutig an den Ufern des rebhügelumkränzten Mainstroms hinge-
lagert, bot mit ihrer prachtvollen, von dem genialen Pinsel eines großen
italienischen Meisters, des Tiepolo, geschmückten Residenz, die Napoleon I.
nicht ohne Malice „la plus belle cure de l’Europe“‘, das schönste Pfarrhaus
in Europa, genannt hatte, mit ihren Adelspalästen von feiner Kultur einen
stimmungsvollen Rahmen für die Begegnung des Kaisers mit dem ehr-
würdigen Regenten Bayerns, der in Würzburg das Licht der Welt erblickt
hatte und besondere Anhänglichkeit für seine Vaterstadt empfand. Der
Prinzregent Luitpold, der damals schon im 76. Lebensjahr stand, aber noch
fünfzehn Jahre leben sollte, schaute aus wie ein aus seinem Rahmen zur
Erde gestiegener Ritter des Mittelalters. Wer ihn ansah, konnte sich un-
gefähr vorstellen, wie im 12. oder 13. Jahrhundert ein fränkischer, bayri-
scher oder schwäbischer Herzog sich’ausnahm. Er sah immer gleich vor-
nehm aus, ob er als Großmeister des Ordens vom heiligen Hubertus in
prächtigem Kostüm mit dem achtstrabligen silbernen Bruststern und ge-
schmückt mit der goldenen Ordenskette aus Schilden, auf denen ab-
wechselnd der heilige Hubertus und der Hirsch zu schen waren, mit dem
dunkelrot und grün geränderten Bande des schon 1444 von Gerhard V.
von Jülich und Berg gestifteten Ordens auftrat oder in einfacher Jagdjoppe
den Spessart durchstreifte. Unter den vielen deutschen Fürsten, die dem
Schutzpatron der Jäger gehuldigt haben, war Prinzregent Luitpold wohl
einer der eifrigsten Verehrer jenes Heiligen, den der mit einem Kreuz
zwischen dem Geweih geschmückte Hirsch von der Jagd und aus der Welt
ins Kloster rief. Die Jagd regulierte das Leben des Prinzregenten. Er
widmete ihr den größten Teil seiner Wochentage, am Sonntag besuchte er
die Messe und erledigte dann am Nachmittag die Geschäfte. Diese wurden
darum in keiner Weise schlecht wahrgenommen. Prinzregent Luitpold hatte
ungewöhnlich tüchtige Minister, die sich nicht nur durch Fleiß und Be-
gabung, sondern auch durch lange Amtsdauer auszeichneten.
Drei von ihnen, Graf Crailsheim, Herr von Riedel und Graf Feilitzsch,
waren an dreißig Jahre im Amt. Der Prinzregent ließ seinen Ministern freie
Hand, war aber weit davon entfernt, sich von ihnen abhängig zu machen.
Er war von tiefer Religiosität erfüllt, hielt aber die Geistlichkeit in wohl-
bemessener Entfernung, stand straff auf dem Boden der Parität und hatte
Prinzregent
Luitpold