120 „ALLE MEINE MINISTER FORTGESCHICKT“
in kirchlichen Fragen wirkliches Vertrauen nur zu dem von ihm als Freund
behandelten Stiftsprobst von Türk, der alljährlich am Gründonnerstag die
Beichte des alten Herrn hörte. Auch dem Heiligen Stuhl gegenüber vertrat
er, aller persönlichen Deferenz ungeachtet, die Hoheitsrechte seines Hauses
mit Nachdruck, was deutlich in einem Handschreiben zum Ausdruck kam,
in dem er die vertrauliche Anregung des Papstes Pius X. zur Vornahme
gewisser Verfassungsänderungen strikte ablehnte. Als der Minister Graf
Podewils, dem er besonders gewogen war, sich politisch festgefahren hatte,
entließ er ihn mit demselben Gleichmut, mit dem er einen Jäger hätte gehen
lassen, der ihn auf einem seiner Jagdgründe einen falschen Weg geführt
hätte. Am Abend des Tages, wo Graf Podewils gegangen und nicht gern
gegangen war, ließ sich der alte Prinzregent einmal wieder die Hühneraugen
schneiden. Als der biedere Münchner, der mit der Pflege der alten Füße
des inzwischen neunzig Jahre alt gewordenen Fürsten betraut war,
ihn frug, wie es ihm ginge, antwortete ihm dieser: „Gut geht’s mir! Ich
habe heute alle meine Minister fortgeschickt. Und da sagen die Leut,
ich würde alt!“
Der Prinzregent hatte einen eisernen Körper. Er badete täglich kalt,
und im Winter mußte im Teiche des Schlosses Nymphenburg ein Loch ins
Eis gehauen werden, damit er dort sein Bad nehmen konnte. Es kam vor,
daß er, stark von der Jagd erhitzt, auf einer ein- oder zweistündigen Rück-
fahrt bei rauhem Herbstwetter und strömendem Regen jede Umhüllung,
Mantel oder dergleichen, zurückwies, dann erst seine Joppe, hierauf die
Weste öffnete, schließlich das Hemd, und sich so den kalten Regen mit
Vergnügen auf die breite Brust ergießen ließ. Halb erstarrt vor Kälte saß
dann wohl neben ihm sein Minister Podewils, der eine zarte Gesundheit
hatte und nur durch ungewöhnliche Energie des Willens und ausgeprägtes
Pflichtgefühl seinen schwachen Körper arbeitsfähig erhielt.
Ich wurde im Palais des Freiherrn von Würtzburg untergebracht, einem
feingegliederten Renaissancebau aus der besten Kunstperiode Würzburgs.
Baron Würtzburg war das Bild eines fränkischen Edelmanns, der typische
Vertreter einer der uralten reichsritterschaftlichen Familien Frankens,
deren Wappen im hohen Dom, auf einem vor dem Hauptaltar aufgestellten
Silberschrein vereinigt, vom Glanz des Hochstifts Würzburg Zeugnis ab-
legen. In der Bayrischen Ersten Kammer, der er als erbliches Mitglied an-
gehörte, trat Baron Würtzburg wiederholt mit Wärme und Überzeugungs-
kraft für den Reichsgedanken ein und bewährte sich auch im Flottenverein
als patriotischer, aber maßvoller und besonnener Politiker. Er sollte der
letzte seines Stammes sein. Sein einziger Sohn, Edmund Freiherr von
Würtzburg, fiel als Held schon 1914 bei einer mit besonderer Bravour aus-
geführten Patrouille an der Westfront.