Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

122 DIE HOHENZOLLERNFAHNE AUF BURG NÜRNBERG 
bündnisses mit Preußen bereit erkläre, solle es mit ganz unbeträchtlichen 
Gebietsabtretungen und einer sehr mäßigen Kriegsentschädigung davon- 
kommen, wurde Herr von der Pfordten, der die Empfindung hatte, nach 
kurzer Pein im Fegefeuer ins Paradies versetzt zu werden, derartig von 
Rührung übermannt, daß er seinem großen Gegenüber, der übrigens jahre- 
lang sein Kollege am Frankfurter Bundestag gewesen war, mit den Worten 
um den Hals fiel: „Ich sehe, daß auch Sie ein deutsches Herz haben!“ 
Lächelnd erwiderte Bismarck: „Haben Sie mich denn bisher für einen Boto- 
kuden gehalten ?“ 
Als kleines Pflaster für das gekränkte dynastische Bewußtsein des alten 
Königs Wilhelm wurden dem König von Preußen später im preußisch- 
bayrischen Friedensvertrag gewisse Ehrenrechte in der Burg von Nürnberg 
eingeräumt: er durfte dort in einem dem preußischen Königshaus „auf 
ewige Zeiten‘ eingeräumten Flügel wohnen, auch seine Hausfahne auf- 
zichen. Ich erinnere mich nicht, ob Wilhelm I. von diesen Befugnissen je 
Gebrauch gemacht hat. Wilhelm II., der auf dergleichen Ehrenrechte 
hohen Wert legte, kam nie nach Nürnberg, ohne auf der Burg die schwarz- 
weiße Fahne aufzuziehen und die dort für ihn bestimmten Zimmer zu be- 
ziehen. Das erfreute nicht gerade das Herz der Wittelsbacher, aber es ging 
doch stets ohne jede ernstliche Verstimmung ab. Die deutschen Fürsten 
fühlten, daß es ihnen nie so gut gegangen war als in dem durch Bismarcks 
Politik wiedererrichteten Deutschen Reich. In der napoleonischen Zeit 
waren manche von ihnen, speziell die süddeutschen Häuser Wittelsbach, 
Württemberg, Zähringen, rasch avanciert, aber unter der brutalen Faust 
des fürchterlichen Korsen war dem deutschen Serenissimus doch nie ganz 
wohl zumute gewesen. Im Jahre 1848 hatten sie alle für ihre Throne ge- 
zittert und waren zum Teil nahe daran gewesen, freiwillig zu abdizieren. 
Erst seit der großen Wende von 1866 bis 1871 fühlten sich die deutschen 
Könige, Großherzöge, Herzöge und Fürsten in voller, durch den Quader- 
bau der Reichsverfassung gewährleisteter Sicherheit. Die Genialität des 
Fürsten Bismarck tritt wohl nirgends deutlicher zutage als in der Verfassung 
des Norddeutschen Bundes, aus der die Verfassung des Deutschen Reiches 
werden sollte, jene Verfassung, die aus seinem genialen Haupte hervorging 
wie die Pallas Athene aus dem Haupt des Zeus. Er hat ihre Grundzüge in 
einer Nacht des Jahres 1866 an zwei seiner Mitarbeiter diktiert. Der eine 
war der spätere Oberpräsident, Minister des Innern und Ministerpräsident 
Botho Eulenburg, der von der Wiege bis zum Grabe ein konservativ 
gerichteter, dabei durchaus vorurteilsloser und aufgeklärter Typus des 
hohen preußischen Beamten war, ein an Charakter und an Fähigkeiten 
gleich hervorragender Staatsmann. Der andere war Lothar Bucher, 
Steuerverweigerer von 1848, als solcher verurteilt und zur Flucht nach
	        
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