Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE BLAU-WEISSEN BRIEFMARKEN 123 
London genötigt, wo er im Exil in nahe Beziehungen zu Karl Marx trat. 
So wußte Bismarck alle Kräfte dem einen großen Ziel der Einigung 
Deutschlands und seiner Erhebung zur wirklichen Großmacht dienstbar 
zu machen. Was in langen Jahrhunderten nicht gelungen war, erreichte 
Bismarck: den Ausgleich zwischen der berechtigten Eigenart der deutschen 
Stämme und Gebiete und der notwendigen Einheit der Nation, zwischen den 
überlieferten Traditionen und den unerläßlichen Neuerungen. Er hatte das 
schöne Wort des alten Kirchenvaters in die politische Wirklichkeit über- 
führt: In necessariis unitas, in dubiis libertas. Zu seinem genialen Wurf 
verhält sich das mühsam zusammengeflickte Elaborat des Professors 
Dr. Hugo Preuß wie in Wagners unvergänglichen „Meistersingern“ das 
Gemecker des Schreibers Beckmesser zu dem himmelanstrebenden Gesang 
des Ritters Walter von Stolzing. 
Die Fahrt nach Nürnberg legte ich gemeinsam mit den bayrischen 
Ministern zurück. Der Ministerpräsident Freiherr, später Graf von Crails- 
heim war der Sohn eines alten fränkischen ritterschaftlichen Geschlechts, 
ein hochgewachsener, schlanker, sich immer kerzengerade haltender Mann 
von vornehmen Manieren und durchaus vornehmer Gesinnung, der beste 
Ministerpräsident, den Bayern im vergangenen Jahrhundert gehabt hat, 
und einer der ausgezeichnetsten Männer des neueren Deutschland. Er war 
durch und durch reichstreu, aber ebenso sorgsam und gewissenhaft wie 
über die nationale Einheit wachte er über die verfassungsmäßigen Rechte 
des zweitgrößten deutschen Bundesstaates. Der Staatssekretär des Reichs- 
postamts, General von Podbielski, der den Kaiser Wilhelm II., zu dessen 
Freunden er gehörte, durch einen hübschen Coup erfreuen wollte, kam bald 
nach seiner Ernennung auf den Gedanken, Bayern zur Aufgabe seines 
Briefmarken-Monopols zu bewegen. Er fuhr nach München und wurde von 
dem Ministerpräsidenten in dessen Arbeitszimmer empfangen mit der diesem 
eigenen Würde und in etwas reservierter Art, freundlich, aber gemessen. 
Podbielski, der eine joviale Natur war, selten etwas übelnahm und sich 
freute, wenn man ihn Pod nannte, ging direkt auf den bayrischen Minister- 
präsidenten zu, der sich von seinem Arbeitsstuhl erhoben hatte, und meinte 
in seinem jokosen Ton: „Ich möchte als alter Husar gern eine Attacke auf 
Sie reiten. Wie wäre es mit der Aufgabe der blau-weißen Briefmarken ? Sie 
haben nichts davon, und uns würde es freuen.‘ Ruhig und fest erwiderte 
Crailsheim: „Ein bayrisches Reservatrecht soll ich aufgeben? Nur über 
meine Leiche.‘ Pod zog unverrichteter Sache wieder ab, nahm seinen Abfall 
aber in keiner Weise tragisch. 
Neben Herrn von Crailsheim trat in der damaligen bayrischen Regierung 
der Finanzminister Riedel hervor, einer der besten Finanzminister, die ich 
gekannt habe. Er war ungewöhnlich häßlich, wußte das und scherzte gern 
Crailsheim 
Riedel
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.