Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

124 DIE WEISHEIT DES HAUSES WITTELSBACH 
darüber. Als Riedel einmal in Berlin weilte und an einem großen Hofball 
teilnahm, zeigte man ihm eine wunderschöne Frau, die er staunend be- 
wunderte und die ihn schließlich zu dem Ausruf veranlaßte, daß er zu einer 
solchen Schönheit kaum die Augen erheben könne. Irre ich nicht, war sie 
die Frau des argentinischen oder mexikanischen Gesandten, den er bald 
nachher auch kennenlernte und der noch mehr als Riedel selbst das Gegen- 
teil eines Adonis war. Befriedigt meinte Riedel: „So schön bin i a!“ 
Freiherr von Riedel hatte eine ungewöhnlich rasche und klare Auffassung. 
Ich kann ohne Übertreibung sagen, daß ich die Grundzüge des Zolltarifs 
und die Direktiven für seine parlamentarische Behandlung bei der ersten 
Beratung der Vorlage im Bundesrat in einer Fensternische des großen 
Bundesratssaales im Reichsamt des Innern während eines halbstündigen 
Gesprächs mit ihm festgelegt habe. Wir verstanden uns sofort. Als ich 
Reichskanzler wurde, sagte mir der bayrische Gesandte in Berlin, Graf 
Hugo Lerchenfeld, ein Mann von nüchternem und gesundem Menschen- 
verstand: „Sie werden es machen. Es gibt nämlich in Berlin sehr viele 
Leute, die jeden Baum im Walde kennen, jeden Ast und jeden Zweig und 
jedes Blatt aufzählen und beschreiben können; aber es gibt nicht viele, 
die außer und über den Bäumen auch den Wald sehen, und zu diesen 
wenigen, glaube ich, gehören Sie.“ Zu diesen wenigen gehörte jedenfalls 
der bayrische Finanzminister Riedel. 
Während unserer Eisenbahnfahrt nach Nürnberg machte mich der 
Kriegsminister, General von Asch, ein im Krieg 1870 bewährter, tapferer 
Offizier, darauf aufmerksam, daß unter den anwesenden bayrischen 
Ministern die Franken und die Evangelischen überwögen. „Und das ist 
gut“, fügte der Minister hinzu, „denn die Franken und Protestanten sind 
uns über. Das sage ich, obschon ich selbst Katholik und Altbayer bin.“ 
Mit Ermst und Würde, nicht ohne Strenge protestierte der Ministerpräsi- 
dent. Allerdings wäre es ein leuchtender Beweis für die Weisheit des Hauses 
Wittelsbach, daß es seit fast einem Jahrhundert bestrebt gewesen wäre, 
die Nichtaltbayern und Nichtkatholiken Bayerns durch besonders freund- 
liche Behandlung fest an das Herrscherhaus und an den bayrischen Staat 
zu knüpfen. Gerechtigkeit und volle Parität seien aber dabei nie zu 
Schaden gekommen. Alle Anwesenden stimmten zu. 
Bei der Paradetafel hielt der Prinzregent eine kurze, warme Ansprache, 
Wilhelm II. sprach oratorisch wirkungsvoll wie immer und, ebenso wie 
sein Gastgeber, mit von Herzen kommender und zu Herzen gehender 
Wärme von der kerndeutschen alten Stadt Nürnberg. Er erinnerte daran, 
daß der deutsche Kaiser Heinrich VII. bei seinem Römerzug den Hohen- 
zollern Friedrich V. und den nachherigen deutschen Kaiser Ludwig von 
Bayern auf der Wiese am Tiber, beim Pons Milvius, am gleichen Tage zu
	        
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