Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

xXlIl VORWORT DES HERAUSGEBERS 
Stille zu Gunsten seines kaiserlichen Herrn auszugleichen und abzubiegen 
gehabt hat, ist das Urteil Büluws über den Kaiser nie bitter oder ungerecht. 
Wenn er den Souverän auch oft rügen und tadeln muß, so wird er doch 
immer der bedeutenden Persönlichkeit und den menschlich schönen Seiten 
gerecht, und auch da, wo sein Urteil sich zu ernster Sorge verdichtet, zeigt 
es sich mehr von freundschaftlichem, ja fast väterlichem Empfinden dik- 
tiert als vom Geist der Kritik. Diese Betrachtungsweise ändert sich auch 
nicht, wenn sie an die Darstellung der Katastrophe von 1918 und der Er- 
eignisse, die sie vorbereiteten, herantritt. Die Sorge um Kaiser und Dyna- 
stie, die bis dahin überwogen hatte, wird abgelöst durch die noch größere 
Sorge um das Geschick des deutschen Volkes, um die Zukunft, um die 
Nation. 
Nichts aber, was auch immer Deutschland im Zusammenbruch und nach 
dem Schandfrieden von Versailles an bitterem Leid erfahren haben mag, 
vermochte den jugendstarken Optimismus zu hemmen, mit dem der weise 
alte Mann in die Zukunft Deutschlands sah. Wie sein Urteil über den Zu- 
sammenbruch des alten Systems und die Mängel, die ihn verschuldet 
hatten, gerecht und objektiv war, so zeigt sich auch seine Beurteilung des 
neuen Deutschlands, bei aller Schärfe, mit der dessen Schwächen gegeißelt 
werden, von überzeugtem Hoffen auf eine größere und glücklichere Zu- 
kunft diktiert. Was er all die Jahre hindurch innerlich litt, in denen er das 
Schicksal der Nation den schwachen Händen eines Bethmann, den zau- 
dernden eines Michaelis, den kraftlosen eines Hertling und zuletzt den 
neurasthenischen eines Prinzen Max von Baden anvertraut sehen mußte, 
während im Feindesbunde Staatsmänner von der außergewöhnlichen 
Energie und Tatkraft eines Clemenceau, eines Lloyd George ihre Völker 
im Geiste des Widerstandes erhielten und mit zielbewußter Zähigkeit zum 
Enderfolg führten, das klingt in knapper Klarheit aus dem Schlußsatz des 
dritten Bandes der „Denkwürdigkeiten“. Es ist hier eine Episode aus 
Herodot erwähnt. Der Fürst liebte es, die Geschehnisse seiner Zeit an der 
Geschichte, der großen Lehrmeisterin der Menschheit, zu messen, und 
schöpfte hierbei mit besonderer Vorliebe aus den ihm von früher Jugend- 
zeit wohlvertrauten großen Griechen. Ein hochstehender Perser, wenige 
Tage vor der Schlacht von Platää befragt, warum er seinen Feldherrn 
Mardonius nicht vor einer großen, von ihm klar erkannten Gefahr warne, 
erwidert dem ihn fragenden Griechen: es gebe auf der Erde keinen 
größeren Kummer als den, Einsicht zu besitzen, nicht aber die Macht. 
„Dieser größte Kummer war mir beschieden“, mit diesen Worten 
schmerzlicher Tragik zieht der Fürst das Fazit seines großen politischen 
Lebens, 
FRANZ VON STOCKHAMMERN f
	        
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