Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Kaiser- 
manöver in 
Hessen 
128 KRIEGSSCHAUSPIELE 
Es gibt ein Gedicht von Chamisso, das sich „Vetter Anselmo“ nennt und 
die Psyche des Strebers und Speichelleckers so glänzend schildert, als ob 
der sinnige Dichter ein Staatsmann oder Minister gewesen wäre, der solches 
Gewürm um sich zu beobachten Gelegenheit hatte. Fürst Bismarck hat 
über die Moral dieses Gedichts tiefsinnige Betrachtungen angestellt: 
„O Dankbarkeit, du süße Pflicht, 
Du Himmelslust, du Himmelslicht! 
Wie hab’ ich dich mir eingeprägt, 
Wie hahe ich stets dich heilig gehegt!“ 
So spricht zum Magier Yglano sein demütig bettelnder Vetter Anselmo. 
So sprach auch Graf Anton Monts zu mir, solange er meiner Unterstützung 
und Gunst bedurfte. Um an unsere alten Beziehungen zu erinnern und doch 
Devotion durchblicken zu lassen, begann er seine Briefe, nachdem ich sein 
Vorgesetzter geworden war, gelegentlich auch mit „lieber Bülow‘, fügte 
dann aber hinzu: „Verzeihen Sie, wenn ich auch jetzt noch diese vertrau- 
liche Anrede gebrauche, weiß ich doch, daß in Ihnen nie der Vorgesetzte 
den Freund verdrängen wird.“ Nun folgen einige politische Ausführungen, 
aber mit dem rührenden Zusatz: „„Doch Sie wissen ja all dies besser als ich 
und werden vielleicht da, wo ich nur eine Mauer sehe, mit Ihrem weiteren 
Blick doch noch einen Ausweg erspäht haben. Meine besten Wünsche 
begleiten Sie jedenfalls, wie Sie ja auch stets auf meine unbedingte Erge- 
benheit und Ehrlichkeit rechnen mögen.“ 
Der weitere Verlauf meiner Erinnerungen wird leider zeigen, daß, als 
die Tage meines amtlichen Wirkens sich zu neigen begannen, weder von 
der Treue und Anhänglichkeit noch von der Verehrung und Liebe und am 
allerwenigsten von der Ehrlichkeit etwas zu spüren war, die Monts mir so 
oft und so feurig beteuert hatte und deren Quintessenz er im Frühjahr 1909 
in Venedig gegenüber Wilhelm II. in die Worte zusammenfaßte: „Ich habe 
nie etwas von Bülow gehalten.“ 
Auf die bayrischen Manöver folgte das Kaisermanöver in Hessen. Zu 
diesem Kriegsschauspiel waren, einer besonderen Einladung des Kaisers 
folgend, auch der König und die Königin von Italien erschienen. Mancherlei 
Mißstände, die gerade bei den großen Kaisermanövern hervortraten, 
wurden damals in der Presse, besonders in den Bismarckschen „Hamburger 
Nachrichten“, scharf kritisiert. Man tadelte die Überanstrengung der 
Truppen zu Paradezwecken. Man kritisierte die nicht kriegsmäßigen 
großen Kavallerieattacken. Die militärischen Übungen dürften nicht zu 
Prunkschaustellungen werden, die von starken Unwahrscheinlichkeiten 
ausgingen und falsche Kriegsbilder vorführten. Die einzelnen Gefechtsakte 
müßten kriegsgemäßer, unter besserer Berücksichtigung der Feuerwirkung
	        
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