130 DER BÜCHMANN
General von Schweinitz. Er hatte sich nach seinem Scheiden von Peters-
burg, wo er als Botschafter lange und hervorragend gewirkt hatte, in Kassel
zur Ruhe gesetzt. Er lud mich scherzhaft ein, als „aktiver Botschafter und
Minister“ vor ihm durch die Tür zu gehen. Ich verweigerte das mit dem
Wort des Martial: „Cedo majori.‘“ Lachend meinte Schweinitz: „Na,
endlich sche ich wieder einen Menschen, der die alten Schriftsteller kennt
und eine gebildete Sprache spricht.“ Ich kann beschwören, daß ich jenes
Zitat nicht dem Büchmann verdankte. Ich hatte schon als Gymnasiast
die Neigung oder den Fehler, zu zitieren. Wenn mir ein Gedanke durch
den Kopf schoß, liebte ich es, ihm die Form zu lassen, die vor mir ein
großer Schriftsteller oder Dichter gefunden hatte. Während meiner Amts-
zeit pflegten mich die Witzblätter häufig mit dem Büchmann in der Hand
abzubilden, was mir großes Vergnügen bereitete. Den Büchmann selbst
habe ich tatsächlich erst nach meinem Rücktritt in die Hand bekommen,
wo ihn mir sein Verleger in schönem Einband und mit einem freundlichen
Briefübersandte, in dem er ausführte, daß dieÜbersendung des berühmtesten
Buches seines Verlages während meiner Amtszeit falsch hätte interpretiert
werden können und deshalb unterblieben wäre. Jetzt aber gestatte sich der
Verlag, das Buch zu übersenden, zumal inzwischen auch einige Aussprüche
von mir aufgenommen worden wären.
General von Schweinitz verabredete mit mir ein Rendezvous für den
nächsten Tag, wo wir uns ungestört aussprechen könnten. Wir trafen uns
denn auch in dem Garten eines Homburger Hotels in einer schattigen Laube
bei einem Glase Moselwein und sprachen eingehend die äußere und innere
Lage durch. Schweinitz neigte mit seinem Gefühl mehr zu England als zu
Rußland. Er war schon in früher Jugend in England gewesen, sprach vor-
trefflich Englisch und liebte den einzelnen Engländer. Er stimmte mir aber
völlig darin bei, daß Rußland auch jetzt noch der Pivot unserer auswärtigen
Politik wäre. Solange wir nicht mit Rußland karambolieren, würde uns
Frankreich nicht angreifen und England noch weniger. Kämen wir aber
mit Rußland in Krieg, so würde sicherlich Frankreich, vielleicht auch Eng-
land, losschlagen. Im Laufe unserer Unterredung erwähnte ich eine Äuße-
rung des Fürsten Bismarck, der in meinem Beisein, Ende der achtziger
Jahre, einmal bemerkt hätte: „In dem russischen Faß gärt und rumort es
bedenklich, das könnte einmal zu einer Explosion führen. Am besten für den
Weltfrieden wäre es wohl, wenn die Explosion nicht in Europa, sondern in
Asien erfolgte. Wir müßten uns dann nur nicht gerade vor das Spundloch
stellen, damit der Zapfen nicht uns in den Bauch fährt.“ Lebhaft griff
Herr von Schweinitz dieses Wort des Fürsten Bismarck auf: „Da hat der
grand old man wieder mal recht. Rußland braucht für die in ihm gärenden
bösen Säfte ein Derivatif. Früher diente als solches die Balkanhalbinsel,