Wilhelm II.
an Phili
136 DAS ÄRGERNIS VON OBEN
prächtigsten Städte in Europa geworden. Hier fühlte man, was deutsche
Arbeit zu leisten imstande war.
„Das war die deutsche Treue,
Das war der deutsche Fleiß,
Der sonder Wank und Reue
Sein Werk zu treiben weiß.“
Hier verstand man, was deutsche Kultur bedeutete, diese deutsche
Kultur, die durch Ruhmredigkeit und Taktlosigkeit von unserer Seite, noch
mehr durch die Perfidie und Gehässigkeit unserer Feinde als „culture alle-
mande avec un K“ seitdem außerhalb unserer Grenzen in Verruf geraten
ist. Auf jener Fahrt 1897, long, long ago, empfand ich so recht, daß Kultur
für uns Deutsche wirklich von ‚,‚colere‘‘ kommt, daß unsere Kultur im
Grunde Bebauen, Bestellen, Bearbeiten eines Ackers bedeutet, das Be-
bauen und Bestellen mit unermüdlichem Fleiß, die Pflege der Bäume und
Pflanzen, schließlich eines ganzen Landes und davon aufsteigend alles dessen,
was das geistige Leben umfaßt, Religion und Philosophie, Wissenschaft und
Kunst. Wie ein verlorenes Paradies liegt das Deutschland jener Tage vor
den Augen des trauervoll in die schönere Vergangenheit Zurückblickenden.
Wie konnten wir von solcher Höhe so tief sinken? Woran gingen
wir zugrunde? Mit der Kapuzinerpredigt in Wallensteins Lager müssen
wir einräumen: „Das Ärgernis kam von oben.“ Wilhelm II. besaß als
Mensch viele, sehr viele sympathische, interessante, schöne und gute
Züge. Es fehlten ihm aber zu unserem und zu seinem eigenen Unheil gerade
diejenigen Eigenschaften, die den erfolgreichen Regenten ausmachen. In
früheren Jahrhunderten sind manche „Fürstenspiegel‘“ geschrieben wor-
den, die das Muster eines Fürsten schilderten und alle Eigenschaften, die
ein guter Fürst haben müsse. An Wilhelm II. lassen sich leider viele der
Fehler und Schwächen nachweisen, die ein Fürst vermeiden muß, wenn
seine Regierung erfolgreich verlaufen, wenn er wie Wilhelm I. beim Schei-
den mit Befriedigung auf seine Regierung zurückblicken, mit Ruhe dem
Urteil der Geschichte entgegenblicken, wenn er das Recht haben soll, wie
der sterbende Augustus seinen Freunden zuzurufen: Plaudite amici, bene
egi actum vitae.
Während ich mit dem Kaiser dem hessischen Manöver beiwohnte, über-
sandte mir Philipp Eulenburg die Abschrift eines Briefes, den Kaiser
Wilhelm nach der Rückkehr von Peterhof an ihn gerichtet hatte. Obwohl
ich den Kaiser seit Jahren kannte und nun seit Monaten Gelegen-
heit gehabt hatte, ihn noch näher kennenzulernen, war ich von diesem
Brief entsetzt. Welche Übertreibungen! Welche Illusionen! Welche bedenk-
liche Art, Menschen und Dinge so zu sehen, wie man sie im Affekt sehen