Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

SCHEINWERFER 137 
möchte. Ich war noch peinlicher berührt durch die Unbefangenheit, mit 
der der Kaiser nicht nur mit der Wirklichkeit, sondern auch mit der Wahr- 
heit umsprang, mir Worte und Anschauungen in den Mund legte, die ich 
nicht nur nicht geäußert hatte, sondern die ungefähr das Gegenteil meiner 
Wünsche, meiner Ratschläge und aller meiner Ausführungen ihm gegen- 
über waren. Wie ein Scheinwerfer beleuchtete dieser Brief alle Schwierig- 
keiten meiner Aufgabe: mit diesem in mancher Richtung sehr begabten, 
liebenswerten Menschen, der aber als Regent so sehr zu Fehlschlüssen, Über- 
treibungen und Illusionen neigte, das Reich vor den Gefahren zu bewahren, 
die uns von außen wie im Innern drohten. Unter dem 20. August 1897 
hatte der Kaiser aus Wilhelmshöhe an Philipp Eulenburg geschrieben: 
„Lieber Phili! 
Innigsten Dank für Deinen so wertvollen und interessanten Brief nebst 
einliegender Aufzeichnung, deren ich mich noch recht genau entsinne. 
Deine freimütige Aussprache, die Behandlung der Marine-Angelegen- 
heiten betreffend, hat mich gefreut, und ich bin Dir besonders dank- 
bar dafür; denn wenn Du nicht von der Leber weg reden willst, wer soll es 
dann sonst? Du scheinst in rebus maritimis besorgt zu sein, besonders be- 
treffend der sogenannten ‚Stimmung‘ im Süden des ‚geeinten‘ deutschen 
Vaterlandes. Da wird es Dir von Interesse sein, zu hören, was darin ge- 
schehen ist. Das Marine- oder ‚Flottengesetz‘ ist im großen und ganzen 
fertig, hat meine Billigung, die prinzipielle des Kanzlers schon erhalten. 
Es sieht vor einen Stand der Flotte, der bis 1905 zu erreichen ist und er- 
reicht werden muß und kann. Es bedingt die Erhöhung des Ordinariums 
um 28 Millionen und die Ausgaben für Bauten jährlich auf 56 Millionen 
statt 30—40 Millionen, wie es jetzt ist. Das ist der ganze Zauber! Die brave 
deutsche Nation ist auf Milliarden gefaßt, und wenn diese Vorlage an den 
Tag kommt, wird sie mit einem sehr dummen Gesicht dasitzen. Um so mehr 
als die zu fordernden ersten Raten genau in derselben Höhe wie bisher ge- 
fordert werden und nicht verändert werden sollen. Das ist im großen das 
Gesetz und sein Aussehen. Nun zur Trage der Behandlung desselben! 
Tirpitz hat zunächst ein großes Bureau konstruiert, was direkt, teils durch 
Mittelspersonen, gegen 1000—1500 Zeitungen und Blätter mit Maritima 
versorgt. In den großen Universitätsstädten ist überall das sehr bereit- 
willig entgegenkommende Professorenelement gewonnen für Mitwirkung, 
durch Wort, Schrift und Lehre, das Verständis für die Daseinsberechtigung 
einer Flotte zu stärken. Ferner hat Tirpitz seinen Aufenthalt in St. Blasien 
benutzt, Onkel Fritz von Baden* sich zu nähern und ihm Vorträge zu 
* Großherzog Friedrich von Baden.
	        
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