Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER WITTELSBACHER IM MIETSWAGEN 141 
Natur mit besonders vollkommenen Zerstörungswerkzeugen ausgerüstet 
hat. Diese Insekten leben unterirdisch, errichten feste Bauten aus Ton, 
nähren sich von Holz und bringen es durch eine in ihrer Art erstaunliche 
Technik fertig, das stärkste Holzwerk auf der Oberfläche zu zerstören. Sie 
bilden förmliche Staaten und gehen in allem mit System und Methode vor. 
Setzen wir an die Stelle von Holzwerk Größe, Macht und Wohlfahrt des 
Reichs, so ist die Analogie vollkommen. An der Spitze eine unberechenbare 
Persönlichkeit, in der Tiefe der zähe Wille der Zerstörer. Gewiß, noch war 
das Verhängnis in keiner Weise unabwendbar. Es war vor allem klar, daß 
keine Wühlarbeit den noch immer starken Oberbau zum Einsturz bringen 
konnte, solange wir mit Würde, aber auch mit Einsicht, Voraussicht und 
Umsicht, natürlich auch mit der erforderlichen Geschicklichkeit, den Krieg 
vermieden. Nur ein Krieg, und zwar ein für uns unglücklicher Krieg, ver- 
mochte in Deutschland den Umsturz herbeizuführen und dadurch der 
Sozialdemokratie in den Sattel zu helfen. Das hatte Bebel gemeint, als er 
auf einem internationalen sozialistischen Kongreß den französischen Ge- 
nossen zurief, daß sie ihre Republik dem deutschen Siege bei Sedan ver- 
dankten, und hinzufügte: Übrigens hätte die deutsche Sozialdemokratie 
nichts dagegen, wenn die französischen Genossen ihnen auf gleiche Weise zur 
deutschen Republik verhülfen. Kein französischer, kein englischer, kein 
italienischer Sozialist hat je so gesprochen. Aber der deutschen Sozial- 
demokratie hatte Karl Marx die Vaterlandslosigkeit, die Gleichgültigkeit, 
ja den Haß gegen vaterländische Gesichtspunkte, Traditionen und Gefühle 
in die Wiege gelegt. 
Während der Homburger Tage wurde mir der Vorzug zuteil, mir das 
Vertrauen und das gnädige Wohlwollen des Prinzen Ludwig von Bayern, 
des nachmaligen Königs Ludwig IIL., zu erwerben. Bei einer zufälligen 
Begegnung am ersten Tage fand ich den hohen Herrn sehr verstimmt, 
beinahe gereizt. Als ich mich nach der Ursache dieses fürstlichen Miß- 
vergnügens erkundigte, wurde mir die Antwort: „Soll ich vergnügt drein- 
schauen, wo der gleichzeitig mit mir hier anwesende russische Großfürst in 
einem königlichen Wagen fährt, mit einem königlich preußischen Kutscher, 
der am Hut die Adlerborte trägt! Ich aber, ein bayrischer Prinz, fahre in 
einem Frankfurter Mietswagen, und mein Kutscher trägt an einem drek- 
kigen Zylinder eine große Nummer.“ Ich entgegnete sofort, es könne sich 
nur um ein beklagenswertes Mißverständnis handeln. Ein Wort von mir 
an den stets korrekten und liebenswürdigen Ober-Hof- und Hausmarschall 
Grafen August Eulenburg würde genügen, um Seiner Königlichen Hoheit 
Satisfaktion zu geben. Am nächsten Morgen begrüßte mich der Prinz mit 
den Worten: „Es ist alles in schönster Ordnung, ich werde Ihnen das nicht 
vergessen.“ Glückliche Zeiten, wo die deutschen Prinzen und Fürsten keine 
Prinz Ludwig 
von Bayern
	        
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